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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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ihre Stimmen hatten einen breiten,unkultivierten Tonfall. Wahrscheinlich waren sie hier geborene Kinder von ehemaligen Sträflingen.
Kolonietrampel
nannte James sie meist mit verächtlichem Grinsen.
Abschaum vererbt sich
, behauptete er.
Das haben sie im Blut
. Hannah fand nicht, dass die Mädchen wie Verbrecherinnen aussahen.
    Die eine sagte etwas mit unterdrückter Stimme, worauf die andere losprustete. Hannah spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Sie hatte in London nie richtige Freundinnen in ihrem Alter gehabt. Nur Thomas Behr. Und auf der
Derby Ram
Long Meg und Molly. Sie fragte sich, wo Molly jetzt war.
    Es klopfte leise an der Tür, dann trat eine junge Frau mit Dienstmädchenhaube ein und knickste.
    »Guten Abend, Madam«, begrüßte sie Hannah. Sie hatte den gleichen breiten Akzent wie die Mädchen auf der Straße. »Leutnant Belforte schickt mich. Ich soll Ihnen beim Ankleiden helfen.«
    Hannah lächelte freundlich und zeigte auf ihren Koffer. Das Mädchen bückte sich, öffnete ihn und ordnete den Inhalt in die Schubladen und Schränke. Als sie Hannahs rosafarbenes Musselinkleid sah, hielt sie es bewundernd hoch.
    »Ein schönes Kleid«, sagte sie. »Wollen Sie es heute Abend zum Essen anziehen?«
    Hannah zuckte gleichgültig die Achseln. »Wahrscheinlich«, antwortete sie.
    Das Mädchen strich das Kleid glatt und hängte es zum Lüften auf.
    Hannah blickte die junge Frau neugierig an. Ihre Haut war von der Sonne goldbraun getönt, ihre Haare waren strohblond, Nase und Wangen von Sommersprossen übersät und die Augen blitzten in einem strahlenden Blau. Sie wirkte gesund und kräftig.
    Hannah wusste, dass sie sonnengebräunte Haut eigentlich ordinär finden müsste –
braun wie eine Wilde
–, aber bei dieser jungen Frau sah es richtig hübsch aus. Hannah errötete, als das Mädchen ihren Blick bemerkte.
    »Entschuldige«, murmelte sie, »es ist nur … Hast du schon immer in Sydney gewohnt?«
    Die junge Frau nickte. »Mein Vater ist Kaufmann. Er importiert Stoffe aus London und Paris für die Exklusiven«, antwortete sie selbstbewusst.
    Hannah sah sie fragend an. »Die Exklusiven?«
    Das Mädchen schlug verlegen die Augen nieder.
    »Ja, Madam. Exklusive. Vornehme wie Sie. Freie Siedler.« »Ich verstehe«, erwiderte Hannah. »Dann war dein Vater ein Sträfling?«
    Die junge Frau nickte abermals. »Meine Mama auch. Dritte Flotte.«
    »Dann bist du also ein Koloniemädchen«, stellte Hannah fest.
    »Wir sagen lieber Einheimische«, entgegnete die junge Frau mit einer Spur Stolz in der Stimme.
    »Ich dachte, Einheimische seien … Wilde.«
    »Aber nein, Madam«, widersprach das Mädchen empört. »Wir sind im Land geboren. Unsere Eltern sind Emanzipisten. Die freien Siedler sind die Exklusiven. Und die Wilden nennt man Blackys, Murkys oder Boongs.«
    Hannah war ein wenig verwirrt.
    Das Mädchen führte sie in das Ankleidezimmer und zog ihr geschickt das Reisekostüm aus. Hannah schämte sich ein bisschen – das Mädchen war so hübsch und selbstbewusst und sie, Hannah, war nur ein Sträfling. Müsste nicht eigentlich sie die junge Frau bedienen?
    »Sind Sie das erste Mal in Sydney, Madam?«, fragte das Mädchen und holte ein frisches Mieder hervor.
    »Ja«, antwortete Hannah, »außer … bei meiner Ankunft.« »Ist es nicht eine wunderschöne Stadt, Madam?«
    Hannah dachte an den Gestank auf dem Markt, an die Menschen in den Käfigen und an die schmuddeligen Kinder. Die junge Frau schnürte Hannahs Mieder fachmännisch zu und hielt dann das Unterkleid bereit.
    »Ich glaube, es ist die schönste Stadt der Welt«, schwärmte sie, ohne Hannahs Zögern zu bemerken.
    Hannah fand, Sydney war kaum als Stadt zu bezeichnen. In weniger als einer Stunde hätte sie von einem Ende zum anderen gehen können.
    »Aber du warst doch noch nie woanders«, entgegnete sie.
    »Das muss ich auch nicht, Madam.«
    »Wieso? Willst du nicht irgendwann nach London?«
    Das Mädchen zog eine Grimasse. »London, Madam? Bestimmt nicht. Mein Vater sagt, dass es dort immer dunkel und schmutzig ist und dass man nie die Sonne sieht.« Sie zeigte aus einem der Fenster zum Meer hinaus. Die Sonne ging hinter Sydney unter und tauchte die gelben Häuser in Gold und Rosa. Das Meer funkelte blau-weiß und verfärbte sich zum dunkler werdenden Horizont hin in ein tiefes Indigoblau. Graugrüne, von einer dichten Wildnis überwucherte Hügel erstreckten sich bis zum Wasser. Es war wirklich wunderschön. Hannah erinnerte sich an ihr

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