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Scepter und Hammer

Scepter und Hammer

Titel: Scepter und Hammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Sprache, welche die Dichter reden?«
    Er nickte selbstbewußt.
    »Ich kann es.«
    »So thue es!«
    »Nun denn, wenn Du meinem Kusse nicht entfliehst, wie sie der Umarmung des Tages!«
    »Du darfst mich küssen, Katombo, denn Du bist mein Bruder.«
    »Dein Bruder? Ich will den Kuß der Liebe, aber nicht den Kuß einer Schwester!«
    Sie zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann meinte sie:
    »Du sollst ihn haben. Jetzt aber beginne!«
    Er blickte träumerisch vor sich hin; dann erhoben sich seine Arme zur Gestikulation, und ohne Pause oder Unterbrechung strömten ihm die Verse von den Lippen:
    »Wenn um die Berge von Befour
    Des Abends erste Schatten wallen,
    Dann tritt die Mutter der Natur
    Hervor aus unterird’schen Hallen,

Und ihres Diadems Azur
    Erglänzt von funkelnden Kristallen.
     
    In ihren dunklen Locken blühn
    Der Erde düftereiche Lieder;
    Aus ungemess’nen Fernen glühn
    Des Kreuzes Funken auf sie nieder,
    Und traumbewegte Wogen sprühn
    Der Sterne goldne Opfer wieder.
     
    Doch bricht der junge Tag heran,
    Die Tausendäugige zu finden,
    Läßt sie ihr leuchtendes Gespann
    Sich durch purpurne Thore winden,
    Sein Angesicht zu schaun, und dann
    Im fernen Westen zu verschwinden.«
     
    Das Mädchen war seinen Worten mit der Miene einer Kunstkennerin gefolgt. Sie neigte jetzt langsam den Kopf und meinte: »Die Christen haben viele Dichter, aber Keiner von ihnen allen besitzt den schnellen, glänzenden Geist, der in Dir wohnt, Katombo.«
    Er lächelte matt.
    »Mein Volk rühmt und preist mich als seinen besten Dichter, Zarba, aber ich gebe allen Ruhm und allen Preis hin für einen freundlichen Blick und für ein gutes Wort von Dir. Ich nehme mir jetzt meinen Kuß!«
    Er that einen Schritt auf sie zu, sie aber wehrte ihn mit einer schnellen Bewegung ihres Armes ab.
    »Warte noch, denn Du bist nicht zu Ende!«
    »Ich bin fertig!«
    »Nein, denn Du hast Bhowannie geschildert blos wie sie erscheint an stillen, milden Abenden. Aber wenn sie ihrem Volke grollt, dann erblickst Du sie ganz anders. Der Himmel bedeckt sich mit Wolken; die Wogen stürzen sich mit –«
    »Halt!« gebot er ihr. »Ich will nur Deinen Kuß, nicht aber Deine Unterweisung. Höre mich weiter, dann aber bin ich zu Ende und nehme mir meinen Lohn. Es ist dieselbe Göttin, darum sollen meine Worte auch dasselbe Gewand und denselben Vers besitzen.«
    Er besann sich kaum einige Sekunden lang, ehe er begann:
     
    »Wenn um die Berge von Befour
    Des Abends dunkle Schatten wallen,
    Dann tritt die Mutter der Natur
    Hervor aus unterird’schen Hallen
    Und läßt auf die versengte Flur
    Des Thaues stille Perlen fallen.
     
    Des Himmels Seraph flieht, verhüllt
    Von Wolken, die sich rastlos jagen;
    Die Erde läßt, von Schmerz erfüllt,
    Den Blumen bitt’re Thränen tragen,
    Und um verborg’ne Klippen brüllt
    Die Brandung ihre wilden Klagen.
     
    Da bricht des Morgens glühend Herz,
    Er läßt den jungen Tag erscheinen;
    Der küßt den diamant’nen Schmerz

Von tropfenden Karfunkelsteinen
    Und trägt ihn liebend himmelwärts,
    Im Aether dort sich auszuweinen.«
     
    Er hatte geendet und ließ nun sein Auge forschend auf dem Antlitze des Mädchens ruhen. Sie blickte vor sich nieder, und die langen Wimpern verhüllten den Ausdruck dessen, was sie jetzt empfinden und denken mochte.
    »Zarba!«
    »Katombo!«
    »Meinen Kuß!«
    »Schenke ihn mir!«
    Sie erhob die Lider, und ihr Blick suchte halb kalt halb mitleidig den seinigen.
    »Warum?«
    »Was nützt er Dir?«
    »Was er mir nützt? Was nützt dem Auge das Licht, dem Munde die Speise, dem Herzen das Blut? Soll das Auge erblinden, der Mund verstummen und das Herz brechen und sterben, weil sie nicht haben dürfen, was ihnen Leben gibt?«
    »Stirbst Du ohne meinen Kuß?«
    Seine Gestalt richtete sich höher auf und sein Auge flammte.
    »Zarba, Du hast mich geliebt, mich allein. Wir sind Verlobte, und bald bist Du mein Weib. Du selbst hast es so gewollt, und die Vajdzina hat unsre Hände in einander gelegt. Wie oft hast Du gesagt, daß Du sterben müßtest ohne mich! Dein Herz hat an dem meinen geschlagen, Deine Lippe auf der meinigen geruht; wir haben zusammen gehungert und zusammen geschwelgt; ich habe Leben und Glück aus Deinem Auge getrunken – ja, ich würde sterben, wenn der Tod Dich mir entriß!«
    »Ich sterbe nicht.«
    »Ich war noch nicht zu Ende. Ich würde freudig mit Dir sterben; aber wenn ich Dich anders verlieren sollte, als durch den Tod, so – so – so –«
    »Nun, so –

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