Schabernackel
ihn irgendwo liegenlassen.“
Er hielt einen glänzenden gelben Stein hoch, nicht größer als eine Kirsche.
„Das ist ein Mondstein“, erklärte er, „der wunderbare Kräfte besitzt. Er sendet Strahlen aus, verstehst du? Unsichtbare Strahlen, und die schützen dich, wenn du ihn bei dir trägst. Immer wenn einer nach dir schlägt, fliegt seine Faust zurück, bevor sie dich erreicht hat, und trifft ihn selbst. Hier, steck ihn mal in die Tasche, wir wollen es ausprobieren!“ Heinrich nahm den schillernden Stein und ließ ihn in seine Hosentasche gleiten.
„Paß auf!“ rief Schabernackel, „jetzt gebe ich dir eine herzhafte Ohrfeige!“ Er hob die Hand, holte aus und — traf seine eigene Backe. „Aua!“ rief er. „Die war nicht von schlechten Eltern!“
Heinrich machte große Augen.
„Ist das auch kein fauler Trick?“ fragte er. „Geht das tatsächlich?“
„Natürlich“, sagte Schabernackel. „Her mit dem Mondstein, jetzt darfst du mir eine herunterhauen! Aber bitte nicht so heftig, damit du dir nicht weh tust!“ Er nahm den Stein an sich und nickte Heinrich zu. Der Junge getraute sich anfangs nicht. Nach längerem Zögern erst überwand er sich, schlug zu und rieb im selben Augenblick seine Backe.
„Oh“, sagte er, „oh!“ Mehr nicht, aber Schabernackel sah ihm an, was er dachte.
„Was meinst du“, fragte er, „ob die Jungen im Heim dich in Ruhe lassen werden, wenn jeder Schlag gegen dich ihnen selber blutige Nasen macht?“ Heinrich nickte.
„Bestimmt!“ rief er. „Die sind nämlich sehr feige und können selber keinen Schmerz ertragen.“
„Na, dann wollen wir mal“, sagte Schabernackel. „Steig ein, ich bringe dich ins Heim zurück. Hier ist der Mondstein! Achte darauf, daß du ihn nicht verlierst, alles andere regelt sich von selbst, das hast du ja gesehen.“
Sie stiegen auf, flogen dreimal um den Gipfel herum und nahmen dann Kurs auf das Kinderheim ,Alpenglück’.
Auf dem Spielplatz vor dem Haus tobten die Jungen herum. Sie spielten anscheinend Raufball, denn sie stießen und zogen einander, daß Heinrich schon beim Zusehen zitterte.
„Die benehmen sich, als ob sie alle wütend wären“, sagte Schabernackel.
„Das sind sie auch“, rief Heinrich ängstlich. „Weil sie mich nicht gekriegt haben! Ich mag gar nicht hingehen zu ihnen.“
„Du mußt!“ bestimmte Schabernackel. „Damit ihnen ein für allemal die Lust vergeht, mit dir anzubandeln. Du hast doch selbst erlebt, daß dir niemand weh tun kann, wenn du den Mondstein bei dir hast. Also los! Mut gefaßt! Ich bleib in der Nähe. Notfalls lande ich und komme dir zu Hilfe.“
„Und wenn ich den Mondstein verliere?“ fragte Heinrich furchtsam.
„Steck ihn in den Strumpf, da kann er nicht herausfallen.“ Zehn Minuten später ging Heinrich mit klammem Herzen zu den Jungen auf den Spielplatz hinüber, während Schabernackel mit seiner Wolke neben dem Schornstein schwebte und alles beobachtete.
Kaum wurde der Junge von den Spielenden entdeckt, da umringten sie ihn und begannen ihn zu hänseln.
Ein besonders großer Junge, der Heinrich um fast zwei Köpfe überragte, stellte sich breitbeinig vor ihn hin, stemmte die Arme in die Hüften und rief: „Da kommt ja unsere kleine Pißnelke! Wo hat sie denn gesteckt? Ist sie mal wieder feige gewesen und weggelaufen? Aber nun will sie uns sicherlich um Verzeihung bitten und sich die Prügel abholen, die sie verdient hat, was? Los, bück dich, damit ich dein Hinterteil mit dem Fuß bearbeiten kann!“
Natürlich bückte Heinrich sich nicht.
Da schob sich der große Kerl hinter ihn, griente von einem Ohr zum andern, holte mit dem Fuß aus und trat so heftig zu wie ein Fußballspieler, der einen Elfmeter schießen muß. t Aber sein Fuß erreichte sein Ziel nicht, er wurde von einer unsichtbaren Macht zurückgeschleudert und traf ihn selbst empfindlich am Schienbein. Das ging so schnell, daß niemand der Umstehenden und auch er selbst nicht merkten, wer da trat. Alle mußten annehmen, Heinrich wäre ihm zuvorgekommen und hätte zuerst getreten.
„Du gemeiner Kerl!“ schrie der große Junge wütend. „Das sollst du büßen!“ Und er trat zum zweitenmal .zu, diesmal so kräftig, als wollte er einen Ochsen töten. Wieder traf er sich selbst, und zwar mit solcher Wucht, daß er umfiel wie vom Blitz getroffen.“
„Los, macht ihn fertig!“ schrie er, außer sich vor Schmerz. „Der Hund hat mir das Schienbein entzweigeschlagen!“ Darüber empörten die andern sich
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