Schabernackel
Schabernackel. Die müßten mit ihrer Bosheit und Angeberei mal richtig auf die Nase fallen! Und ich wüßte auch schon, wie sich das einrichten ließe. Allerdings müßte ich vorher mit der kleinen Ines sprechen.
Als Schabernackel in seinen Gedanken so weit gekommen war, pfiff jemand laut auf einer Trillerpfeife.
„Oh, wir sollen kommen!“ rief Erika. „Die Gruppenleiterin hat gepfiffen!“ Sie sprangen auf Und rannten davon, ohne sich um Ines zu kümmern. Schon zehn Meter entfernt, wandte Heike sich noch einmal um und rief: „Das mit der Wette gilt. Ich setze auch 50 Mark!“ Und lachend stoben sie den Abhang hinunter.
Ines blieb allein zurück.
Sie legte sich ins Gras und begann leise zu weinen. Schabernackel blickte zu ihr hinüber.
Armes Kind! dachte er. Aber warte, morgen sollen dich alle beneiden, dann wirst du glücklich sein!
Er stand auf und räusperte sich. Dabei tat er so, als hätte er Ines noch gar nicht gesehen. Er wollte ihr Gelegenheit geben, sich die Tränen abzuwischen. Erst als er beinah über sie stolperte, schien er sie zu bemerken.
„Oh, da ist ja ein Mädchen!“ rief er. „Grüß dich, Kleine. Was machst du denn hier so allein, und wie heißt du?“
Ines nannte ihren Namen und stand auf. Das merkwürdige Männchen sah zwar sehr lustig aus, aber sie war mißtrauisch.
„Ich komme aus dem Heim“, sagte sie, „und muß jetzt schnell weg, die Gruppenleiterin hat schon gepfiffen.“
„Bitte“, sagte Schabernackel, „ich halte dich nicht. Erzähl mir nur noch, warum du so ein trauriges Gesicht machst. Vielleicht kann ich dir ja helfen.“
Ines schüttelte den Kopf.
„Mir kann keiner helfen“, sagte sie. „Ich habe keinen Vater, und meine Mutter kann sich kein Auto leisten, weil sie nur Arbeiterin in einer Fabrik ist.“
„Das ist doch nicht schlimm!“ rief Schabernackel. „Zu Fuß gehen ist viel gesünder!“
Ines schluchzte.
„Die Mädchen hier im Heim haben aber alle reiche Eltern und sind so häßlich zu mir!“ Und sie berichtete Schabernackel von den drei blonden Mädchen und der Wette, die sie mit ihnen abgeschlossen hatte. Schabernackel tat sehr empört. „Nein, so was!“ rief er. „Das ist aber nicht nett von ihnen! Sie wissen anscheinend ganz genau, daß du keinen Vater hast und deine Mutter sich kein Auto kaufen kann.“
Ines nickte schluchzend.
„Darum kann mir ja auch niemand helfen“, sagte sie. „Das stimmt ja nun nicht“, widersprach Schabernackel. „Ich zum Beispiel könnte dir einen Vater beschaffen, für einen Tag allerdings nur, leihweise sozusagen, und für deine Mutter könnte ich einen Hubschrauber besorgen, mit dem sie hier landen kann.“
„Einen Vater und einen Hubschrauber?“ fragte Ines ungläubig. „Wie willst du das machen? Das geht doch gar nicht!“
„Und ob das geht!“ rief Schabernackel eifrig. „Ich habe den Vater und den Hubschrauber schon hier. Wenn du willst, zeige ich dir beide auf der Stelle!“ Und als Ines ihn zweifelnd anblickte, sagte er: „Der Hubschrauber steht dahinten unter den Büschen. Komm mit, dann kannst du ihn sehen und dich mal hineinsetzen!“.
Aber Ines wollte nicht mitgehen. Sie traute dem kleinen Mann doch noch nicht recht und fürchtete, daß er sie fortlocken wolle. Schabernackel durchschaute das.
„Recht so“, sagte er, „man soll nicht alles glauben, was Fremde einem erzählen. Bleib hier, ich komme mit dem Hubschrauber angeflogen.“ Er wandte sich um, ging ein Stück den Hang hinauf, zog seine Reisewolke aus den Büschen, bestieg sie, hob das Bein und schwebte sanft und sachte zu Ines hinab.
„Eine Wolke?“ staunte sie. „Das gibt es doch gar nicht! Bist du ein Zauberer?“
„Das nicht gerade“, antwortete Schabernackel, „aber ich kenne so allerlei Tricks.“
Ines schwieg und überlegte. Nach einer Weile sagte sie: „Eine Wolke ist aber kein Hubschrauber, damit kann ich bei den Mädchen keinen Eindruck machen.“
„Aber, Ines“, rief Schabernackel, „ich mache einen Hubschrauber draus! Ich stelle einen Besenstiel mit ein paar Flügeln in die Mitte, und von unten spritze ich die Wolke mit einem Farbspray schön bunt an. Wenn ich dann über euerm Heim in der Luft stehenbleibe und deine Mutter mit einer Strickleiter aussteigen lasse, kann von unten keiner erkennen, daß es sich bei meinem Flugzeug nur um eine Wolke und nicht um einen richtigen Hubschrauber handelt.“
Da ging die Sonne auf in dem Gesicht des kleinen Mädchens. Sie sah sich schon vor dem Heim stehen,
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