Schabernackel
maßlos, und sie fielen alle über ihn her, um ihren Anführer zu rächen.
Aber das bekam ihnen schlecht.
Alle Hiebe, alle Backpfeifen, alle Tritte, die sie austeilten, trafen nur sie selbst. Bald wälzten sie sich in einem wirren Knäuel auf dem Boden, schlugen blindlings um sich und verloren Heinrich ganz aus den Augen.
Nur der große Junge, der immer noch auf dem Boden hockte und sich das Schienbein rieb, sah ihn, wie er da unbeteiligt neben dem Getümmel stand. Er erhob sich, schlich leise von hinten an ihn heran, holte mit beiden Fäusten gleichzeitig aus und schlug so gewaltig auf ihn ein, daß er ihm den Kopf zertrümmert hätte, wenn... ja, wenn er ihn getroffen hätte! Aber dazu kam es nicht. Statt dessen traf er mit der rechten Faust seine eigene Nase und mit der linken sein Auge.
Das warf ihn von den Beinen. Im Gras liegend, tupfte er mit dem Taschentuch seine blutende Nase ab und schielte zwischen den Fingern zu Heinrich hinüber, der so ruhig dastand, als ginge ihn die Sache überhaupt nichts an. Da wagte er keinen dritten Angriff mehr, war er doch nun überzeugt, daß Heinrich sich bisher nur verstellt hatte, in Wirklichkeit aber ein ausgezeichneter Boxer war und außerdem noch Karate und andere Kampfweisen beherrschte. Er flüsterte seine Vermutung zwei der Kämpfenden ins Ohr, die in ihrer blinden Wut, jeder den andern für Heinrich haltend, auf ihn zugerollt waren. Sofort ernüchterten sie sich, unterbrachen ihren Kampf und unterrichteten nach und nach auch die andern Kampfhähne von Heinrichs Kraft und Stärke.
Der begriff schnell, was in ihnen vorging, und zog seinen Nutzen daraus.
„Ihr habt gesehen“, sagte er mit einer so lauten Stimme, wie sie bisher keiner von ihm gehört hatte, „wie es euch ergeht, wenn ihr in Zukunft mit mir anbandeln wollt! Ich habe mir euer Treiben eine Weile gefallen lassen, weil ich keinen verletzen wollte, aber jetzt ist Schluß! Jeder, der mir zu nahe kommt, kriegt eine Tracht Prügel, daß er die Engel im Himmel singen hört!“
Nach diesen mutigen Worten sah er allen der Reihe nach in die Augen und erlebte mit Herzklopfen, wie sie seinem Blick nicht standhielten und ängstlich zu Boden schielten. Er spuckte aus und sagte: „Auch untereinander sollt ihr euch nicht mehr streiten, sonst gehe ich dazwischen. Verstanden? Und nun könnt ihr meinetwegen weiterspielen!“
Damit wandte er sich ab und ging langsam vom Spielplatz hinunter hinter das Haus, wo, wie er gesehen hatte, Schabernackel gelandet war.
„Es hat wunderbar geklappt!“ sagte er strahlend und wischte sich die Freudentränen ab. „Nun glaube ich, daß die letzten fünfzehn Tage doch noch schön werden.“
„Davon bin ich überzeugt“, sagte Schabernackel. „Mach’s gut, Heinrich, und verliere den Mondstein nicht, wenigstens in den nächsten zwei, drei Tagen. Später ist er nicht mehr so wichtig, denn dann fürchten dich alle und hüten sich, dir nur ein falsches Wort zu sagen.“
„Wie soll ich dir nur danken?“ rief Heinrich, als Schabernackel schon in der Wolke saß und sanft vom Boden abhob. „Das ist leicht gesagt“, antwortete Schabernackel. „Indem du, wenn du später mal groß und stark geworden bist, nie Kleinere verprügelst.“
„Ehrensache!“ rief Heinrich zurück. „Darauf kannst du dich verlassen! Und ins Bett mache ich bestimmt auch nicht mehr, das spüre ich jetzt schon.“
Er winkte so lange mit der Hand, bis Schabernackel mit seiner Wolke hinter den Bäumen verschwunden war.
Schabernackel wollte noch länger im Gebirge bleiben, er fand die Luft dort so würzig und frisch. Also flog er gemächlich von Berg zu Berg und Tal zu Tal, schlief in unbewohnten Sennhütten und Heustadeln, wusch sich morgens im eiskalten Wasser der Bäche, sammelte Walderdbeeren und Pfifferlinge und freute sich über den Regen genauso wie über den Sonnenschein.
Eines Tages lag er lag er ausgestreckt im hohen Gras, schnupperte an Primeln, Enzian und Almenrausch, blinzelte müde in die Sonne und schlief ein.
Über eine Stunde mochte er geschlafen haben, als er von einem lauten Stimmengeplapper geweckt wurde. Er gähnte, öffnete die Augen und richtete sich vorsichtig auf.
Da sah er, kaum fünf Meter vor sich, vier Mädchen auf dem Boden sitzen, drei nahe beieinander und eins ein wenig abseits, als ob es nicht dazugehörte. Die drei waren alle blond und trugen sehr feine Dirndl-Kleider, das entfernter sitzende Mädchen hatte tiefschwarzes Haar, eine sehr braune Haut
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