Schabernackel
ein Hund wie ein Löwe vor.’ Schabernackel pfiff durch die Zähne.
Dann waren also die Tiger auf dem Dach gewöhnliche Katzen! dachte er. Und der Adler, den die eine fing, war wohl nur ein kleiner Spatz! Ei ei ei, das nenne ich einen Schreck in der Abendstunde. Und ich fürchtete schon, die beiden Raubtiere würden mich zum Nachtmahl verspeisen! Er kicherte und schlug sich auf die Schenkel.
Mit einemmal hielt er inne.
„Ha“, rief er, „das ist ja genau das, was ich für Harald brauche! Für den Jungen mit den feinen Tischsitten, der jeden Abend Tiere quält! Welch glücklicher Zufall! Na, das wird ein Spaß werden, wenn er mit dem ,Großauge für Tiere’ geimpft ist und dann einer Katze begegnet! Da muß ich aber dabeisein!“
Schabernackel rieb sich die Hände.
„Schnell los!“ ermahnte er sich selbst. „Damit du ihn impfen kannst, bevor alle Türen abgeschlossen sind!“
Er bestieg seine Wolke und flog zurück zu der Villa, wo das Lampionfest gefeiert wurde. Dort war es stiller geworden. Die Gäste saßen zwar noch alle auf der Terrasse, aber da sie sich ein Fernsehspiel ansahen, sprachen sie wenig.
Harald thronte wie ein Pascha in einem tiefen Ohrensessel, knabberte Nüsse und Salzgebäck und guckte ebenfalls auf den Bildschirm.
Schabernackel überflog die Terrasse zweimal, da wußte er, wie er am besten an den Jungen herankommen konnte. Er landete hinter einem mächtigen Jasminbusch, drehte seinen Ring, so daß er unsichtbar wurde, und stapfte mit der Flasche in der Hand durch den Garten auf die Terrasse. Dort angekommen, trat er vor den Fernseher und drehte mit einer schnellen Bewegung das Bild weg. Weil es im Film gerade sehr aufregend zuging, waren die Zuschauer über diese Störung sehr ungehalten.
„Ausgerechnet jetzt muß die Sendung gestört sein!“ riefen sie. „Man sollte sich beschweren!“ Einige standen auf, drückten und drehten an den Knöpfen des Gerätes herum, und andere gaben gutgemeinte Ratschläge, was man am besten tun sollte: kurz, es ging recht laut und lebhaft zu!
Schabernackel hatte darum keine Mühe, sich unbemerkt an Harald heranzuschleichen und ihn zack zack zack! dreimal mit der Nadel zu pieksen.
„Aua!“ schrie der Junge. „Drei Mücken auf einmal! Gib mir mal die Salbe, Mama!“
Schabernackel kicherte leise, rannte zu seinem Flugzeug, stieg auf in die Luft und ankerte, wie er es sich vorgenommen hatte, zwischen den beiden Kirchturmspitzen. Für den Spaß morgen muß ich gut ausgeruht sein, dachte er noch, dann schlief er ein.
Am nächsten Morgen mußte er sich erst eine Weile besinnen, bis er begriff, daß der riesige goldene Hahn, der ihm in das Gesicht schaute, ein gewöhnlicher Kirchturmhahn war und daß er ihn nur deshalb so groß sah, weil die Wirkung der Impfung noch nicht nachgelassen hatte. In einer Woche sehe ich alle Tiere normal, tröstete er sich. Und wenn man weiß, daß sie in Wirklichkeit viel kleiner sind, kann man es ertragen. Der feine Harald aber wird drei Wochen lang Angst haben.
Er flog über die Stadt, stibitzte hier ein Brötchen von einem Dachgarten, trank dort einen Schluck Tee und Kaffee und vertrieb sich dann die Zeit damit, daß er im nahen Wald Blaubeeren sammelte.
Endlich, endlich wurde es Abend!
Er konnte es kaum erwarten. Im Tiefflug segelte er über die Häuser und ankerte an der hohen Fernsehantenne der Villa. Und das war keinen Augenblick zu früh, denn gerade trat Harald aus der Tür, verabschiedete sich von seiner Mutter und ging auf die Straße. Seinen langen Stock hatte er wieder bei sich.
Schabernackel frohlockte.
„Das Schauspiel beginnt!“ sagte er leise. „Gleich wird es spannend.“
Harald schlenderte ohne Eile in die Stadt hinein. Schabernackel folgte ihm in zehn Metern Höhe. Plötzlich hörte er eine Katze miauen, der Junge offenbar auch, denn er drehte den Kopf und suchte sie. Die Katze war aber noch nicht zu sehen, sie mußte irgendwo in dem Garten sein, an dem Harald soeben vorüberging. Als er noch nach ihr ausschaute, sprang sie unversehens mit einem großen Satz auf den Zaunpfahl vor ihm.
Da blieb er stehen, als hätte ihn der Blitz getroffen. Der Stock entfiel seiner zitternden Hand, und vor lauter Angst vergaß er beinahe das Luftholen. Über eine Minute lang stand er regungslos, dann endlich konnte er sich aus der Erstarrung lösen und sich mit winzigkleinen Schritten rückwärtstasten.
Sieh mal an, dachte Schabernackel, so ein Feigling bist du also! Na ja, mit einem Tiger hast du auch
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