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Schabernackel

Schabernackel

Titel: Schabernackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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kletterte er in seine Wolke und hob das rechte Bein. Weil er aber neugierig war, was das große Tier da auf dem Dach anstellen würde, flog er nur so hoch, daß es ihn nicht erreichen konnte, und beobachtete es.
    Der Tiger blickte einmal kurz zu ihm hinauf, schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: Wenn du meinst, daß ich dir nachspringe und mir dabei den Hals breche, dann täuschst du dich! und wandte sich einer andern Beute zu. Er machte nämlich plötzlich einen Satz vorwärts und hielt einen großen Vogel in den Pranken, einen Adler, einen Geier oder einen noch größeren.
    Schabernackel schüttelte den Kopf.
    Wo kommt denn nun dieser Riesenvogel her? wunderte er sich. Wohnt da unten bei dem Pastor etwa ein Zoologe, der alle Tiere Afrikas und Indiens hierhergebracht hat? Was sagt man dazu, da kommt ja noch so ein Biest angeschlichen! Ein schwarzweißer Tiger! Ja, gibt es denn solche Tiger überhaupt? Und was hat er da im Maul? So ein Tier kenn’ ich nicht! Wenn es nicht so groß wäre wie ein Schäferhund, würde ich beinah sagen, es sei eine Maus! Ob es in Australien oder Südamerika solche Riesenmäuse gibt? Eigenartig, eigenartig!
    Die beiden Tiger setzten sich einander gegenüber auf die Hinterkeulen und begannen zu fressen, der eine den Adler, der andere die Riesenmaus. Bevor Schabernackel bis hundert zählen konnte, war das Mahl beendet. Keine Feder und keine Schwanzspitze waren übriggeblieben.
    Die haben aber einen gesunden Appetit! dachte Schabernackel. An dem Vogel hätte ich eine ganze Woche zu knabbern. Was sie jetzt wohl machen werden?
    Nun, das sollte er gleich erfahren.
    Beide Tiger leckten sich das Maul und die Brust, tappten sodann unhörbar leise an der Regenrinne entlang und sprangen mit einem weiten eleganten Satz auf das Dach des Nachbarhauses hinüber. Dort miaute im selben Augenblick eine Katze. Die hatten sie anscheinend erwischt. Schabernackel flog schnell hinterher, konnte aber keine Katze entdecken. Statt dessen sah er etwas, das ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte: In einem Spinnennetz, das zwischen einem Schornstein und einem Antennenmast ausgespannt war, hockte eine Spinne, so groß wie ein Fußball! Er konnte deutlich die acht behaarten Beine erkennen, alle dicker als Besenstiele. Schon wollte er sich angewidert abwenden, da sah er noch etwas, und das kalte Entsetzen packte ihn: Eine Fliege verfing sich im Netz und wurde sofort von der Spinne angegriffen und getötet, eine Fliege, die so groß war wie ein Frühstücksteller! Er sah ihre kirschengroßen Augen im Mondlicht funkeln und glaubte das Rauschen ihrer durchsichtigen Flügel zu vernehmen, die sie im Todeskampf verzweifelt hin und her schlug.
    Träum ich, oder wach ich? fragte sich Schabernackel erschauernd. Tiger, die Adler fangen, und Riesenspinnen, die Riesenfliegen das Blut aussaugen! Wo bin ich denn nur gelandet?
    In diesem Augenblick hörte er ein leises Surren, und ehe er noch begriff, woher es rührte, setzte sich eine ungeheuer große Mücke auf seine Hand und bohrte ihm ihren Säugrüssel durch die Haut. Er schrie auf und schlug, ohne recht zu wissen, was er tat, mit der andern Hand zu.
    Und da sah er, daß er eine ganz normale Mücke getötet hatte, eine Mücke, die nicht größer war als alle andern Mücken auch!
    Was ist denn das nun wieder? wunderte er sich, immer noch erschrocken. Ein Rieseninsekt bohrt mich an, um mein Blut zu trinken, und wenn ich es töte, ist es winzig klein? Hier stimmt doch etwas nicht! Er mußte an die gewaltige Spinne und die Fliege denken. Waren die am Ende auch nicht größer als gewöhnliche Spinnen und Fliegen? Und wie war es dann mit den Tigern, dem Adler und der Riesenmaus?
    Er grübelte und grübelte.
    Und da erinnerte er sich an den Stich mit der Nadel, den er erhalten hatte, als er seinen Lumpensack packte und mit den Händen das Dach abtastete.
    Natürlich, der Stich mußte daran schuld sein, daß er alle Tiere so groß sah!
    Um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, flog er in einen Vorort der Stadt, wo kein Mensch mehr auf der Straße war, und landete unter einer Laterne. Dort schüttete er den Sack aus und suchte nach der Flasche mit der Nadel. Er hatte Glück und fand sie bald. „Nun bin ich aber neugierig“, sagte er laut, „was das für ein Zaubermittel ist!“ und las die Aufschrift. Sie lautete ,Großauge für Tiere! Wer mit dieser Flüssigkeit geimpft wird, sieht eine Woche lang alle lebendigen Tiere riesengroß. Ihm kommt eine Katze wie ein Tiger,

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