Schabernackel
leicht könnte ein böser Mensch kommen und dich mitnehmen, hm? Oder dir die Ohren abschneiden, wie? Aber ich tu’ so was nicht, bestimmt nicht. Ich zieh’ dir höchstens ein paar übers Fell!!“
Mit diesen Worten holte er mit dem Stock aus, schlug zu und traf den Hund empfindlich an der Nase. Das arme Tier jaulte auf, sprang vor Schmerz steil in die Höhe und sauste, die Leine, die sich gelöst hatte, hinter sich herschleifend, in langen Sätzen davon.
Im selben Augenblick stürzte ein kleiner rundlicher Mann, der alles mit angesehen hatte, aus der Konditorei und drohte dem Jungen mit der Faust.
„Du verdammter Lümmel“, rief er, „dich bring ich zur Polizei!“
Aber der Junge war auf der Hut. Er stieß dem Mann seinen langen Stock entgegen, drehte sich blitzschnell um und rannte davon. Der Mann, durch eine prallgefüllte Einkaufstasche im Laufen gehindert, gab die Verfolgung bald auf. Er schimpfte noch eine Weile hinter dem Jungen her, machte sich dann aber auf die Suche nach seinem Hund. Schabernackel jedoch blieb dem Bösewicht mit seiner Wolke auf den Fersen.
„Dir werd ich eins auswischen!“ drohte er wütend. „Lauf nur erst mal schön nach Hause, damit ich weiß, wo du wohnst!“ Der Junge hatte anscheinend die Lust zu weiteren Tierquälereien verloren. Er lief ohne Umwege in die dritte Querstraße nach links und verschwand dort im Vorgarten einer großen Villa. Schabernackel sah, wie er um das Gebäude herum nach hinten ging, wo auf der Terrasse ein Lampionfest gefeiert wurde und eine große Gesellschaft fröhlich beisammensaß und aß und trank.
„Na, Harald“, sagte eine Frau, als der Junge in den Lichtkreis der Papierlaternen trat, „hast du deine Abendrunde beendet?“ Der Angeredete nickte, zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und begann sehr manierlich das Steak zu essen, das die Dame, offensichtlich seine Mutter, vom Grill genommen und ihm auf den Teller gelegt hatte.
„Stellen Sie sich vor“, wandte sie sich an den Herrn, der neben ihr saß, „jeden Abend macht der Junge seinen Fünfkilometer-Marsch! Ist das nicht großartig? Er will seine Kondition behalten, sagt er. Wir sind sehr stolz auf ihn, nicht Haraldchen?“
Der Junge nickte artig, fragte, ob er nicht noch einen Toast haben könnte und erfreute alle um den Tisch versammelten Mütter durch sein feines Benehmen.
Schabernackel nickte grimmig.
Jeden Abend also treibst du es so, dachte er. Na, das wirst du bald sein lassen. Ich habe bestimmt ein Mittel in meinem Lumpensack, das dir die Quälereien austreibt! Wenn es doch nur noch etwas heller wäre! Bei dem trüben Licht brauchte ich ja Katzenaugen, um die Dinge aus meinem Lumpensack unterscheiden zu können! ^
Er stieg höher, überflog die ganze Stadt Und suchte nach einem Dach, auf dem er landen konnte. Das Pfarrhaus neben der Kirche mit dem doppelten Turm besaß ein Flachdach. Er schwebte hinab und setzte sanft neben dem Schornstein auf. „Ich will es probieren“, murmelte er, „und wenn das Licht noch so schwach ist!“ Aber bald mußte er einsehen, daß es keinen Zweck hatte, nach etwas Bestimmtem zu suchen, weil er die Aufschriften auf den Gegenständen nicht mehr entziffern konnte. „Muß ich also doch bis morgen warten!“ knurrte er enttäuscht und kramte alles wieder ein. Bevor er den Sack zuband, tastete er noch einmal mit den Händen das Dach ab, um sicher zu sein, daß er nichts liegengelassen hatte. Da stach er sich mit einer Nadel in den Finger.
„Aua!“ rief er. „Da liegt also doch noch was!“
Vorsichtig griff er ein zweites Mal zu und fand nun das kleine Fläschchen, aus dessen Korken die Nadel hervorsah, mit der er sich verletzt hatte. Er warf es zu den andern Dingen in den Sack und lutschte sich einen Blutstropfen vom Finger.
Mittlerweile schob sich der Mond hinter einem Wolkenberg hervor und warf sein fahles Licht auf die Dächer der Stadt. „Du hättest deine Lampe ruhig ein wenig eher anzünden können“, murmelte Schabernackel. „Ich schütte doch nicht alles wieder aus!“ Schon schickte er sich an, in die Wolke zu steigen und sich schlafen zu legen, als er einen riesigen gelbweißgestreiften Tiger hinter dem Schornstein hervorlugen und quer über das Dach schleichen sah.
„Hoppla“, flüsterte er, „der Bursche hat sich wohl verlaufen! Was macht ein Tiger auf dem Dach eines Pfarrhauses? Ich glaube, ich mache mich abflugbereit, sonst könnte es dem Burschen noch einfallen, mich zum Nachtmahl verspeisen zu wollen.“ Leise
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