Schadrach im Feuerofen
Hobel. Die Werkzeugausstattung ist reichhaltig und verschiedenartig, um dem Benutzer die uralte Tradition des Handwerks und seine Vielfalt vor Augen zu führen.
Niemand spricht ihn an, niemand sieht ihn an. Keiner kümmert sich um den anderen. Wer hier eintritt, muß mit seinem Werkzeug und seinem Holz allein bleiben. Eine seltsame Feierlichkeit überkommt ihn, als er sich bereit macht, in das Eingangsstadium der Meditation einzutreten. Er legt beide Hände flach auf die Werkbank und neigt den Kopf. Er ist sich dabei der. Gegenwart vieler still und andächtig arbeitender Menschen bewußt, und in dem Maße, wie diese Atmosphäre in ihn eindringt, wird er ernst und nachdenklich.
Im Verlauf der Meditation muß man zuerst die Werkzeuge betrachten, ihre Form und ihr in Jahrtausenden herausgearbeitetes Wesen. Man muß sie betrachten und benennen: dies ist eine Ansatzsäge, dies ein Fuchsschwanz, dies ein Nagelbohrer, dies eine Bindeahle. Dann muß man sich mit ihrem Zweck beschäftigen, was erfordert, daß man sich jedes Werkzeug in Aktion vorstellt, und dies verlangt wiederum nach Vergegenwärtigung bestimmter Grundtechniken der Holzbearbeitung und Tischlerei: der Herstellung von Zapfenlöchern und Zapfen, von Gehrungen und Nuten, der Konstruktion von Rahmen, dem Aufkleben von Furnier, dem Einsetzen von Streben und Keilen. Diese Meditationsphase ist die längste und intensivste. Schadrach hat von fortgeschrittenen Meistern dieser Meditation gehört, die niemals ein Werkzeug oder Holz in die Hände nehmen, sondern einen vollauf befriedigenden Umgang allein auf der geistigen Ebene vollziehen. Bis zum heutigen Tag hat er nie begriffen, wie das geschehen kann, doch nun, wie er mit geschlossenen Augen dasitzt und im Geiste Zapfen und Zapfenloch, Nut und Falz ineinander paßt, versteht er, daß tatsächliche manuelle Arbeit für diese Erfahrung nicht unbedingt erforderlich ist, wenn es einem gelingt, sich tief genug in die meditative Phase zu steigern.
Er versteht es, geht aber nichtsdestoweniger zum letzten Abschnitt der Meditation über, der dem Holz gewidmet ist, dem Mutterstoff. Auch dies ist eine sorgfältig durchstrukturierte Übung, die man damit beginnen muß, daß man sich Bäume vorstellt, nicht bloß irgendwelche Bäume, sondern spezifische Nutzholzarten eigener Wahl, im allgemeinen Fichte, Tanne oder Kiefer, gelegentlich aber auch exotischere Hölzer wie Mahagoni, Teak und Palisander. Man muß den Baum sehen, muß sich vorstellen, wie er gefällt, zum Sägewerk transportiert und gelagert wird; man muß sich das geschnittene Brett vergegenwärtigen und seine Maserung, seine Härte, seinen Feuchtigkeitsgehalt bedenken, seine Anfälligkeit für Schrumpfung und Verwerfung, alle Eigentümlichkeiten und besonderen Schönheiten. Und erst dann, wenn man den Geschmack des Holzes auf der Zunge spürt und in Dankbarkeit und Achtung des Lebewesens Baum gedenkt, dem der Mensch soviel verdankt, erst dann steht man auf, geht zum Lager, sucht sich sein Holz aus und beginnt endlich mit der Arbeit.
Als er dieses Stadium erreicht hat, weiß Schadrach genau, wie das äußere Ergebnis seiner Meditationsübung aussehen wird. Er wird keine komplizierten Schreinerkunststücke versuchen, sondern sich eine derbe, handfeste Zimmermannsarbeit vornehmen, einfach aber rein, eine Arbeit, die zum Ursprung der Form durchstößt: er wird ein Lehrgerüst für einen Bogen aus Ziegelmauerwerk konstruieren. Es steht klar und in allen Einzelheiten vor seinem inneren Auge, komplett mit Rippen und Bindern, Keilen und Verstrebungen; er hat den Halbmesser und die Krümmung berechnet, die Höhe des Schlußsteins, die Kämpferlinie, alles in einer einzigen Vision. Und nun braucht er nur noch zu schneiden und einzupassen und zu nageln, und wenn er fertig ist, wird er alles wieder auseinandernehmen, das Sägemehl verbrennen und fortgehen, gereinigt und befreit von Spannung.
Er arbeitet rasch und zielstrebig, in völliger Konzentration auf den Gegenstand. Eine fast fieberhafte Energie ist jetzt in ihm. Er geht hin und her, sucht Holz für seine Werkstücke zusammen, sägt, hobelt und hämmert, Nägel verschiedener Länge zwischen den Lippen; er hält nicht einen Augenblick inne. Dennoch ist an seiner Arbeit nichts überstürzt. Hast und Übereilung wären töricht; hier kommt es darauf an, die innere Ruhe zu finden. Die Arbeit soll zügig vonstatten gehen, aber ohne Eile. Schadrach arbeitet in heiterer Selbstvergessenheit, wie ein spielendes Kind. Die Arbeit
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