Schädelrose
werden.«
»Ich bin Robert Anthony Brekke.«
Robbie stand wacklig auf, eine Hand auf die abgenutzte
Armlehne des Sessels gestürzt, den Körper immer noch so
gedreht, daß die verschwollenen blauen Augen auf Caroline
gerichtet waren. In ihnen lag eine stumme Bitte. »Caroline,
ich bin Rob… Robbie Br…«
Er taumelte. Pirelli legte ihm einen Arm um die Taille und
ließ ihn wieder in den Sessel zurückgleiten. Die
rechte Seite von Robbies Körper zuckte krampfartig vor
Schmerz. »Jefferson Pirelli, du wirst hiermit zu drei
Monaten Gefängnis wegen Datenpiraterie verurteilt. Das
Urteil wird in Anbetracht deines jugendlichen Alters – und
weil du nicht vorbestraft bist – zur Bewährung
ausgesetzt. Du wirst der Obhut deiner Mutter überstellt.
Hör mir zu, mein Sohn, und zwar genau…«
Pirelli richtete sich langsam auf. Sein rosiges Gesicht hatte
die Farbe von Pergament angenommen.
»Ich bin Robbie Brekke… Ich
bin…«
»Die Geliebte des Königs trug – es ist kaum
zu glauben! – die Juwelen, die der Königin
gehörten…«
»Robert Anth… Anthon…
Robert…«
Pirelli sagte zu Joe: »Ruf die Sanitäter
herein.« Joe stand mit glasigem Blick da und rührte
sich nicht. Caroline lief um ihn herum und zur Tür hinaus,
gefolgt von einem Schrei von Robbie: »Da sind sie! Hol mir
den Text…«
Zwei Männer warteten zusammen mit dem FBI-Agenten bei
einem dritten Wagen. Caroline winkte sie herein; ihr Atem ging
auf einmal so schwer, daß sie nicht sprechen konnte. Etwas
weiter entfernt hatte sich eine Gruppe von Menschen angesammelt,
die schweigend herüberstarrten. Caroline hatte eigentlich
hier draußen bleiben wollen, fern von dem Motelzimmer, fern
von dem, was aus Robbie geworden war – aber da kam schon
ein Mann mit dem aggressiven Gehabe eines Reporters auf sie zu.
»Miss…« Sie ging wieder hinein.
Die Sanitäter versuchten, Robbie auf eine Trage zu legen.
Er wehrte sich matt, Tränen liefen ihm über das
zerschlagene Gesicht, und er redete ununterbrochen, sprang von
einem toten Leben zum nächsten… aber nein, sie waren
nicht alle tot, was hatte er da eben mit Colins Worten zu ihr
gesagt… mit Colins Worten…
»Seid vorsichtig«, sagte Pirelli.
»Verpaßt ihm einem Betäubungsstreifen, er soll
bewußtlos sein – nein, Moment, noch
nicht.«
»Ich komme jetzt heraus«, sagte Robbie mit einer
Stimme, die anders klang als die anderen – es war Robbies
eigene Stimme, und doch wieder nicht. Es war Robbies Stimme, wie
sie vielleicht geklungen hätte, wenn er soeben als reicher
Mann oder als größter Lottogewinner aller Zeiten
aufgewacht wäre.
»Ich komme jetzt heraus«, wiederholte die
Stimme.
»Raus«, sagte Pirelli grob zu den Sanitätern.
»Sie auch!« fuhr er Caroline an. Die Sanitäter
gingen hinaus; Caroline blieb.
»Ich bin Robert… Rob… Ich komme jetzt
heraus.«
»Ja«, sagte Pirelli. »Wer bist
du?«
Robbie antwortete nicht.
Die plötzliche Stille nach dem wüsten Strom
gequälter, schwindelerregender Worte hatte etwas
Monströses. Caroline trat einen Schritt vor. Robbies Blick
war auf Pirellis Gesicht gerichtet gewesen, aber bei ihrer
zögernden Bewegung wechselte er zu ihr. Caroline blieb
abrupt stehen. Pirelli, der einzige, der eine Ahnung zu haben
schien, was hier vorging, faßte sie am Ellbogen und zog sie
unsanft zu der Trage auf dem Boden. Es kam ihr so vor, als ob die
Luft dicker geworden wäre, so daß sie sich durch sie
hindurchbewegte wie durch etwas Transparentes, aber
Zähflüssiges. Zu viele Menschen. Zu viele
Geister. Sie schüttelte Pirellis Hand ab und kniete sich
neben Robbies Trage auf den Boden.
»Robbie – was ist los? Wer bist du?«
Er lächelte sie an. Carolines Herz verkrampfte sich; das
Lächeln auf dem zerschundenen, breiigen Gesicht und in den
blauen Augen war das fröhliche und vertrauensselige
Lächeln eines ganz kleinen Kindes, überlagert von etwas
anderem, was ebenso klein, aber absolut nicht kindlich war. Seine
Hand krallte sich in den Stoff ihrer Jeans. Seine rechte
Körperhälfte zuckte wieder krampfartig.
»Mutti.«
Dann war es verschwunden. Er begann wieder wirres Zeug zu
reden, ganze Sätze vermischt mit Satzfetzen, dann nur noch
Namen in einer endlosen, immer unzusammenhängenderen Folge.
Diesmal merkte selbst Caroline, daß nicht alle Leben, die
er ausspie, seine eigenen waren; es waren Bruchstücke des
Übergedächtnisses, sämtlicher Leben, die je gelebt
worden
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