Schädelrose
schon vorher, in den
Briefen.«
»In den Morddrohungen«, sagte Pirelli.
»Ja. In der Post. An Armand und mich. Und ich habe
gesagt >Ach, vergiß es, Liebster, das sind doch
bloß irgendwelche Spinner…<« Seine Stimme
brach.
Pirelli fuhr in seinem ruhigen, nüchternen Tonfall fort:
»Und in dieser Nacht sind sie gekommen und haben Sie
geschlagen, und Sie fanden Armand tot im Labor, nicht
wahr?«
»Johnny Lee Benson hat am Sweetwater sechs Indianer
getötet. Er hat einem Baby den Schädel eingeschlagen.
Ich hab ihn erschossen.«
Pirelli runzelte die Stirn; Caroline konnte die Bewegung im
unteren Teil seines Gesichts über den Rand seines rosigen
Schädels hinweg sehen. Sie schaute auf und sah, daß
Joes Augen auf einmal groß und angsterfüllt waren. Er
wich langsam zurück, bis er an der geschlossenen Tür
war, und legte eine Hand an den Türpfosten, wie um sich zu
stützen.
Pirelli schien Joe nicht zu bemerken. »Was hatte Armand
im Labor?« fragte er Robbie. »Was hat er Ihnen
erzählt, was drin war, Paul?«
»Die Viren. Und die Mäuse. Sie liefen alle um das
Blut herum, um nicht damit in Berührung zu kommen, sie
liefen im Kreis, bis sie die Tür fanden… im
Kreis…« Jetzt war Robbies Stimme hoch und hell
geworden. Die Stimme eines Kindes, das auch einmal Mäuse
gesehen hatte, und die Erinnerung vermischte sich mit dem Mord,
der Verstümmelung und Armand Kyles Labormäusen, von
denen Caroline auf Prokops schrecklichen Bildern nichts gesehen
hatte, soweit sie sich erinnern konnte.
»Wozu waren die Mäuse da?« fragte Pirelli.
»Was hat Armand mit ihnen gemacht? In der Universität
dachte man, daß er an menschlichen
Immunitäts-Respleißen arbeitete, aber nicht zu Hause,
sondern in den bewachten Labors der Universität. Stimmt
das?«
»Nein.«
»Wozu waren die Mäuse da?«
»Erinnerungen. An Irrgärten und Käse. Immer im
Kreis herum… Armand wollte ihr Gedächtnis verbessern.
Das Langzeitgedächtnis, die kurzfristige
Stimulierung… Er hat Sachen aus dem College nach Hause
geschmuggelt. Slow Viren. Für das Gedächtnis der
Mäuse.«
»Und Armands Experimente waren nicht…«
»Erinnerungen«, sagte Robbie plötzlich
bösartig, in einem anderen Ton. »Ich gebe ihnen
Erinnerungen, die sie nicht vergessen werden! Ich werde der
ganzen verdammten Welt Erinnerungen geben, die sie nicht
vergessen wird, der ganzen verdammten Welt von Schwulenhetzern,
die uns nicht in Ruhe lassen, die nicht… Ich gebe ihnen
die Erinnerungen, die sie verdienen, an Ratten und Viren,
an… an…« Er legte den Kopf in die Hände.
Die Handschelle baumelte von einem Handgelenk herab. An der
Tür gab Joe auf einmal einen Laut von sich. Caroline sah ihn
nicht an. Sie stand ganz still da, den Blick auf Pirellis
Schädeldecke gerichtet, und auf einmal verstand sie.
Robbie hatte die Seuche ausgelöst.
Sie wich zurück, bis die Wand ihr Einhalt gebot. Der
grobe Verputz zerrte ungleichmäßig an ihrem Pullover.
Pirelli beugte sich vor und zog Robbie die Hände vom Gesicht
weg. Caroline sah Pirellis Gesicht direkt von vorn; nach seinem
Ausdruck zu schließen, hatte sich in dem von Robbie etwas
verändert, was Caroline an ihrer Wand nicht sehen konnte.
Sie wollte nichts sehen, wollte nichts hören. Robbie hatte
die Seuche ausgelöst. Und die hatte Catherine
getötet.
»Brekke!« rief Pirelli im gleichen Augenblick, als
Robbie mit einem hohen, unangenehmen Winseln anhob: »Ich
habe sie nur einen Moment lang allein gelassen, Eure Exzellenz,
wie hätte ich denn ahnen sollen, daß sie einfach
weglaufen würden, wo sie gerade so schwer an ihren kleinen
Aufgaben gearbeitet haben…«
»Wer hat gearbeitet, Brekke?« fragte Pirelli.
Robbie ignorierte ihn. Seine Stimme wurde tiefer, und er hob
den rechten Arm mit der herabhängenden Handschelle.
»Da. An dem großen Felsen beim Fluß. Vor drei
Tagen.« Er ließ den Arm sinken. »Sie erinnern
sich doch.«
Pirelli schüttelte den Kopf. Aber Robbies Blick war nicht
auf ihn gerichtet; er ging an dem hockenden Mann vorbei zur
Tür, zu Joe. Caroline zwang sich, Joe anzusehen.
»Ich will nicht!« rief Robbie plötzlich mit
der quengelnden Stimme eines Kindes. Ohne sich vom Stuhl zu
erheben, stampfte er mit einem Fuß auf. »Ich will
nicht! Und du kannst mich nicht zwingen, Vater!«
Joe hielt sich immer noch mit einer Hand am Türpfosten
fest. Seine Augen blickten starr aus einem schlaffen Gesicht.
Caroline erkannte den
Weitere Kostenlose Bücher