Schädelrose
dünnen Vorhänge von ihrer instabilen Stange
gerissen. Im ungedämpften Sonnenlicht glitzerten die
Spiegelscherben, die über den Fußboden verstreut
waren, wie Diamanten.
»Armand ist tot«, sagte Robbie. Caroline, die die
Hand vor den Mund geschlagen hatte, kannte den Ton: die
zeitweilige Ruhe völliger Verzweiflung. Sie konnte nicht
sagen, ob Robbie imstande war, sie zu erkennen. »Sie haben
ihn umgebracht. Wegen mir.«
Sie trat einen Schritt auf ihn zu. Er bewegte sich ein wenig;
Licht prallte von der Spiegelscherbe ab. Der Agent machte
Anstalten, ihr eine Hand an den Arm zu legen, zog sie dann jedoch
wieder zurück und beobachtete sie beide.
»Ich hab Johnny Lee getötet«, sagte er mit
der gleichen tonlosen Stimme. »Am Sweetwater.«
Sie mußte etwas sagen. »Ich weiß.«
»Nein. Du warst nicht dabei, Caroline.«
Er hatte sie also erkannt. Erleichterung spülte über
sie hinweg. Bevor sie etwas erwidern konnte, sagte er: »Nur
Joe weiß es. Frag ihn. Er war dabei. Er war immer
dabei.«
»Robbie«, flüsterte sie, »gib mir den
Spiegel. Du bist verletzt, Darling. Gib mir das Glas.«
Er kam auf sie zu. Sie sah wie in einer plötzlichen
Blitzlichtaufnahme, wie sie sich auf dem Boden ihres Zimmers im
Institut an ihn kuschelte, während er mit dem Rücken am
Bett lehnte, und die tröstliche Kraft in seinem langen
Körper spürte… Er gab ihr das gezackte Glas.
Der Rand schnitt in ihren Handballen. Sie drehte sich um und
legte die Scherbe auf die Seitenfläche der umgeworfenen
Kommode. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der FBI-Mann
Handschellen aus seiner Jackentasche holte.
»Nein!« sagte sie. »Sehen Sie nicht,
daß er sich an der Rippe verletzt hat?«
Der Mann ließ die Handschelle nur um Robbies rechte Hand
zuschnappen und behielt die leere Schelle in der Hand. Robbie
schien es nicht einmal zu bemerken. Er sagte zu Caroline:
»Joe ist hier.«
»Nein«, sagte sie beruhigend, »ist er nicht.
Setz dich auf den Stuhl dort, Robbie…« Die Tür
ging auf, und ein massiger Mann mit dünnem Haar platzte
herein. Joe McLaren kam hinter ihm.
»Er ist verletzt, Doktor Pirelli«, sagte der
Agent. »Und er redet wirres Zeug. Er braucht ärztliche
Behandlung.«
»Die Sanitäter sind draußen«, sagte der
massige Mann, »aber sie sollen dort bleiben, bis ich sie
rufe. Danke, Forster. Warten Sie draußen, bitte.«
Der Agent zögerte und schaute unschlüssig von Robbie
zu Caroline. Er ging hinaus. Caroline führte Robbie benommen
zu dem häßlichen grünen Stuhl, wo er sich setzte.
Woher hatte er gewußt, daß Joe hier war? Und wieso war Joe hier?
»Robert Brekke«, sagte der Mann namens Pirelli
sanfter, als Caroline erwartet hätte. Robbie beachtete ihn
nicht.
»Paul Winter«, sagte Pirelli.
Robbies Gesicht verlor seine Gelassenheit. Er fauchte und
versuchte, vom Stuhl aufzuspringen. Seine rechte Seite zuckte,
und er sank zurück, wobei er sie umklammerte. Sein Gesicht
war vor Schmerz verzerrt. »Ihr kommt zu spät! Ihr
alle! Ich hab’s zerstört, das ganze Labor, die
Mäuse sind frei – es ist zu spät! >Wir
vergessen nicht<, haben sie gesagt, und ich werde denen,
gottverdammt noch mal, was geben, das sie nicht vergessen
werden…«
»Wem?« fragte Pirelli nüchtern. »Wem
wollen Sie was geben, was er nicht vergessen wird,
Winter?«
»Den Mistkerlen, die Armand umgebracht haben.« Er
brach in Tränen aus. Caroline wandte den Blick ab. Es war
schrecklich, und sie war schrecklich, weil sie ihn verlassen
wollte, um es nicht hören zu müssen. Die Bilder von
Kyles Labor in der Nacht der Verstümmelung, die Prokop ihr
gezeigt hatte, stiegen so machtvoll vor ihrem inneren Auge auf,
als ob sie dort gewesen wäre.
»Was haben sie gesagt?« fragte Pirelli.
»Nein, fassen Sie ihn nicht an, Miss Bohentin. Joe, stell
dich einfach hier auf der anderen Seite neben ihn, falls er
wieder aufstehen will. Also, Paul…« Pirelli hockte
sich vor Robbies Stuhl. Caroline beobachtete, wie sich das Licht
über seinen kahlen Kopf bewegte. »Paul, was haben die
Mörder gesagt? Was haben sie gesagt?«
Pirellis nüchterner Ton schien Robbie beruhigt zu haben.
Er antwortete mechanisch, wobei er ein bißchen nach Worten
suchte, als ob sie ihm immer wieder entgleiten würden.
»Sie haben gesagt… >Wir vergessen nicht. Wegen
einem Scheiß-Heilmittel werden wir nicht vergessen. Wir
vergessen weder AIDS noch euch Arschficker, die es verursacht
haben, und<… aber das war
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