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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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waren, in einem so starken Strom, daß er Robbie
davontrug, bis er schließlich nur noch eine Leitung, ein
Kanal war. Die Vergangenheit brach heraus, unzusammenhängend
und unkontrolliert, und ließ Robbies zerschlagenen
Körper um die gebrochene Rippe herum zappeln und zucken, bis
selbst Pirelli es nicht mehr ertragen konnte und den Datenstrom
abschnitt, indem er die Sanitäter hereinrief, die den mit
einem Sedativ geladenen Betäubungsstreifen an Robbies Hals
drückten und ihn ausknipsten.
    »Ich will ein paar Antworten«, sagte Caroline.
    Pirelli sah sie erschöpft an. Er hatte weder ihr noch Joe
Zutritt zu Robbies kleinem Krankenzimmer in dieser kleinen Stadt
– wie immer sie heißen mochte – gewähren
wollen. Sie war dem Krankenwagen in ihrem Luftwagen zusammen mit
Joe gefolgt; keiner hatte ein Wort geredet. Pirelli war bei
Robbie mitgefahren, und in dem winzigen Krankenhaus hatte die
freiwillige Helferin an der Anmeldung – eine alte Dame
–, bestürzt von dem Gedanken, einen FBI-Wachposten in
ihrem stillen Reich zu haben, Caroline daran hindern wollen, in
den Fahrstuhl zu steigen. Caroline hatte sich einfach an ihr
vorbeigedrängt, hatte draußen auf dem Flur vor der
Tür zu Robbies Zimmer vor den Wachposten Aufstellung
genommen und aus vollem Hals nach der Presse zu brüllen
begonnen. Pirelli hatte mit genervter Miene gesagt:
»Presse? Hier?« und sie hereingelassen.
    Robbie lag still da. Er schlief. Man hatte ihm die Rippen
verbunden und sein Gesicht vom Blut und dem verklebten Dreck
darin gereinigt. Im Schlaf sah sein Gesicht jünger aus, als
sie es je zuvor gesehen hatte. Joe setzte sich auf einen
braunroten Stuhl in einer Ecke des Zimmers. Sein starres Gesicht
zeigte die gleiche fassungslose Ablehnung wie vorher im
Luftwagen. Pirelli saß an einem behelfsmäßigen
Schreibtisch, der aus Robbies Krankenhaustischchen bestand; die
kleine Fläche wurde von einem Computer eingenommen, der mit
einem teuren Telekommunikationssystem verbunden war. Der
Computerbildschirm war dunkel; Pirelli war fertig mit dem, was er
getan hatte, mit wem auch immer er es getan haben mochte und wo
auch immer dieser sich befand. In Washington, vermutete sie. Das
Wandterminal des Krankenhauses, ein sehr schlichtes Modell, blieb
eingeklappt an der Wand.
    Caroline blieb dicht bei Robbies Bett stehen und funkelte
Pirelli an, der mit einem schwachen, widerwilligen Lächeln
reagierte und ihr einen Styroporbecher mit lauwarmen Kaffee gab.
Ölige, konzentrische Ringe breiteten sich auf der
Oberfläche aus, und Caroline wurde auf einmal schwindlig;
sie wußte besser als sonst jemand, daß sie nur von
ihrer Tapferkeit und ihrem Mut aufrechtgehalten wurde und
daß sich beides leicht verflüchtigen konnte. Sie
verzichtete darauf, den Kaffee zu trinken.
    »Es war die Seuche«, sagte Pirelli. »Damit
hat es angefangen.«
    »Das weißt du, ja?« sagte Joe müde.
    »Wissen tu ich’s natürlich nicht –
woher, zum Teufel, soll ich irgendwas wissen? Die Daten
entwickeln sich noch.«
    »Du meine Güte«, sagte Joe. »Die
Gaia-Theorie der Mathematik. Der Herr schütze
uns.«
    Caroline schreckte unwillkürlich auf. Sie wandte den
Blick von Robbies Gesicht ab. »Gaia?«
    »Nicht so, wie wir es kennen«, sagte Pirelli.
»Nicht die Erde, die sich selbst reguliert, um das Leben zu
erhalten. Aber Selbstregulierung, das schon. Von…
etwas.«
    Joe stand abrupt auf und öffnete die Tür. Einer der
Wachposten drehte sich halb um und sah ihn an. »Du meine
Güte«, wiederholte Joe, ging zum einzigen Fenster des
Zimmers und schaute hinaus.
    »Das Übergedächtnis«, sagte Caroline
langsam. »Das meinen Sie. Es reguliert sich selbst. Es
versucht sich zu… reparieren. Weil die Seuche seinen
normalen Zustrom von Erinnerungen aus den menschlichen Leben
zerstört. Erst AIDS, das der gleichmäßigen,
stetigen Verdopplung der Weltbevölkerung ein Ende gemacht
hat, dann die Seuche, die die… Gedächtnissphäre
noch mehr vergiftet hat…«
    »Es ist kein Lebewesen!« fauchte Joe. »Um
Himmels willen, Caroline, du müßtest dich mal
hören – das Übergedächtnis ist kein
Lebewesen!«
    »Die Erde auch nicht«, sagte Pirelli in einem Ton,
in dem nichts mehr von seinem vorherigen Ärger zu hören
war.
    Caroline schwindelte es. Sie setzte ihren Styroporbecher ab.
»Wollen Sie damit sagen, daß sich das
Übergedächtnis selbst justiert, so wie…
wie…« – was hatte gleich noch in all diesen

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