Schäfers Qualen
Haar, das wir auf Gassers Computer gefunden haben … Irgendjemand muss sich gleich morgen, pardon, heute um Radners Familiengrab kümmern, damit wir zumindest da auf Nummer sicher gehen. Und dann wird er einen Fehler machen …“
„Aha, und wieso das?“
„Na, hör mal … er sprengt ein halbes Schloss in die Luft, schickt mir persönlich … ach ja, Entschuldigung, das hab ich euch noch gar nicht gesagt: Ich hab gestern Mittag eine Art kopiertes Tagebuch bekommen, das mit einem Haufen Nummern und Buchstaben vollgeschrieben ist. Ich habe es nach Wien geschickt, damit unsere Spezialisten es decodieren. Auf dem Deckel steht ‚Logbuch A. R.‘. Damit dürfte wohl Andreas Radner gemeint sein.“
Bruckner und Havelka sahen sich einen Moment lang schweigend an.
„Ist es das erste Mal, dass der Täter oder ein anderer Unbekannter mit Ihnen Kontakt aufgenommen hat?“
„Ja … ich habe es nur vergessen zu erzählen, weil ich noch keine Ergebnisse habe.“
„Und was für einen Fehler haben Sie gemeint?“
„Er lehnt sich zu weit hinaus … das heißt, er glaubt, dass es mit den vier ehrenwerten Herren noch nicht getan ist, dass noch ein anderer dahintersteckt. Nur weiß er diesmal anscheinend selbst nicht, wer. Und da werden wir ihn in den Käfig laufen lassen.“
„Das klingt, als wüssten Sie das schon länger“, sagte Bruckner, wobei das Misstrauen in seiner Stimme nicht zu überhören war.
„Nur keine falschen Schlüsse, Bruckner“, wehrte Schäfer ab, „das mit Kranz war zu aufgelegt. Da hab ich mir eben gedacht, dass ich mit dem Zeitungsbericht, ich meine, was die da geschrieben haben, dass der Fall abgeschlossen ist und so weiter, das hat ihn aus der Reserve gelockt. Und dass er dann so ein Feuerwerk veranstaltet, beweist nur, dass wir mit Radner richtig gelegen haben.“
„Danke für das Wir … ganz blicke ich da zwar immer noch nicht durch, aber ich hoffe zumindest, dass Sie uns einweihen, bevor Sie irgendeinen unerwarteten Vorstoß machen.“
„Natürlich“, antwortete Schäfer und überhörte Bruckners anschließenden Seufzer.
„Sollen wir Sie ins Hotel bringen?“
„Gute Idee. Dann geht Ahab jetzt schlafen und morgen werden wir sehen, wo er bläst.“
Havelka schaute fragend zu Bruckner.
„Weil er hinkt … sein Bein“, versuchte dieser zu erklären, „und morgen, also heute wird weitergejagt, der weiße Wal, also bei uns der Mörder, ist doch egal jetzt, fahren wir.“
„Gut so, Starbuck“, murmelte Schäfer und streckte sich auf der Sitzbank aus.
„Ay ay, Captain“, seufzte Bruckner erneut und warf Havelka den Autoschlüssel zu.
44
Konopatsch musste einen nachtaktiven Mitarbeiter haben. Als Schäfer am Morgen seine E-Mails abrief, hatte er im Posteingang bereits die Ergebnisse der DNA-Analyse. Die beiden Proben stimmten überein. Wenn jetzt noch die Untersuchung der Knochen ein entsprechendes Resultat lieferte, könnte er ihn festnehmen und hoffen, dass der Fall damit erledigt war. Hoffen, weil ihm die Theorie eines Einzeltäters, von der er bislang ausgegangen war, zunehmend ins Wanken geriet. Die Morde, die Geiselnahme, das Feuer, die Sache mit den Schuhen, die ihm immer noch ein Rätsel war – für jemanden, der einer Vollzeitarbeit nachging, war das ein Aufwand, der allein kaum zu bewältigen war. Doch diesbezüglich müsste er sich ohnehin auch auf das Verhör verlassen, das er in den nächsten Tagen zu führen gedachte.
Von Bergmann war ebenfalls eine Nachricht eingegangen. Er hatte das Logbuch dechiffriert und ein Dokument mit der Übersetzung angehängt. Schäfer speicherte die Dateien in einem eigenen Ordner und ging die restlichen Mails durch.
Kerstin Unseld. Er überlegte, wo er die Grenze zwischen Privatem und seiner Arbeit ziehen sollte. Nein, heute könne er sie nicht treffen, da er dringend nach Innsbruck müsse. Aber es gäbe am Nachmittag eine Pressekonferenz, bei der sie über die jüngsten Entwicklungen informiert würden. Er würde sich bei ihr melden, wenn er weniger Stress hätte. Und dann könnte er ihr auch ein paar exklusive Informationen geben.
Nachdem er das Notebook heruntergefahren hatte, rief er bei der Rezeption an und bestellte sich ein Frühstück aufs Zimmer. Dann wickelte er denselben Plastiksack wie am Vorabend um seinen Verband und ging ins Bad, um zu duschen. Das warme Wasser beruhigte ihn, löste seine Ängste. Natürlich könnte er sich diese Anspannung sparen, dachte er sich. Er hätte die Verhaftung schon vornehmen
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