Schäfers Qualen
Krassnitzer Katholik war … in der Kirche hab ich die beiden, glaub ich, nie gesehen. Beim Skifahren sind sie mir oft begegnet. Als ich noch besser unterwegs war“, lächelte der Pfarrer und schlug mit den Handflächen auf seine Oberschenkel.
„Du weißt, wie sie umgebracht worden sind?“
„Ja. Nicht schön. Ich meine, das ist nie schön, aber so was …“
„Kannst du dir vorstellen, warum jemand hier so was macht, ich meine diese inszenierte Hinrichtung?“
„Weil er verrückt ist? Oder soll ich sagen: von Dämonen besessen, wenn dir das besser zu mir passt?“
„Es könnte beides sein. Aber welche Dämonen? Krassnitzer, Steiner und Gasser waren früher in der gleichen Skischule … die haben sich gekannt … irgendwas muss damals oder später passiert sein, in das die drei verwickelt waren. Und ich hoffe, dass nicht noch mehr dabei waren.“
„Das vom Obernauer hast du ja sicher gehört?“
„Dass der sich erschossen hat, ja. Weißt du, warum?“
„Um ein Haus ist es gegangen, das der Obernauer gekauft hat. Dafür hat er einen anständigen Kredit aufnehmen müssen, obwohl es nur so eine Bruchbude war … du weißt ja, wie es ist hier … dann wollte er umbauen und da hat ihm der Krassnitzer reingepfuscht … warum, hat keiner genau gewusst … da ist eine Umwidmung nicht durchgegangen … der damalige Bürgermeister, der Kranz, ist da auch mit von der Partie gewesen … dann hat der Krassnitzer plötzlich den Kredit vom Obernauer übernommen und es hat so ausgeschaut, als ob sie sich geeinigt hätten. Und ein paar Wochen später hat sich der Obernauer erschossen. Schrecklich … der Bub hat ihn finden müssen.“
„Sein Sohn? Wo ist der jetzt?“, fuhr Schäfer aus seiner Versunkenheit hoch.
„In Kufstein war er einmal, der Hansi, dann in München, glaub ich, und was er jetzt macht, das weiß ich nicht. Da fragst du am besten seine Mutter.“
„Wohnt die hier?“
„In St. Johann … kommt aber immer zu mir in die Messe, wenn du so lange Zeit hast.“
Schäfer sah aus dem kleinen Fenster in den Garten, wo im silbrigen Nachtlicht das Violett des üppigen Lavendelbusches leuchtete.
„Machst du deine Seife immer noch selbst?“
„Natürlich. Magst du eine? Ist gut für die Nerven.“
Danninger ging zur Holzkredenz, die neben der Tür stand, öffnete eine Schublade und nahm ein in Butterbrotpapier gewickeltes Stück Seife heraus, das er Schäfer gab.
„Danke“, sagte Schäfer und stand auf, weil er sonst am Tisch eingeschlafen wäre.
„Kommst du wieder?“
„Bestimmt.“
Als sie an der Tür standen, wollte der Pfarrer wissen, wie denn Gasser eigentlich umgekommen sei.
„Er hat ihn vom Kirchturm springen lassen. Zumindest gehe ich davon aus, dass es ein Mann ist. Wahrscheinlich ist Gassers Familie bedroht worden und er hat sich vor seinem Tod doch noch einmal als Christ erwiesen.“
„Vom Kirchturm herunter“, murmelte Danninger.
„Ja, wie in ‚Vertigo‘ “, sagte Schäfer und konnte ein Gähnen nicht mehr unterdrücken.
„Was meinst du?“
„ ‚Vertigo‘ … ein Hitchcockfilm … da ist auch eine Frau vom Kirchturm gestoßen worden und es hat so aussehen sollen, als ob sie selbst gesprungen wäre.“
„Was für eine grausame Welt …“
„Wenn du das schon sagst, dürfte es wirklich schlimm stehen …“
„Nein“, legte der Pfarrer Schäfer die Hand auf den Oberarm, „der Glaube und die Hoffnung, Johannes … damit geht’s schon …“
„Und die Liebe …“
„Die Liebe … natürlich“, lächelte der Pfarrer müde, „gute Nacht, Johannes.“
16
Warum hatte er sich geschämt, als er seinen Schlüssel an der Rezeption geholt hatte? Weil es schon so spät gewesen war? Er war erst zwei Tage hier, und schon begann seine mühsam über die Jahre gewonnene Stabilität zu bröckeln. Dann fielen ihm seine Eltern ein, die er aufsuchen sollte. Und er fragte sich, wann er die Ruhe bekäme, um die Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten Tage in eine Ordnung zu bringen. Er sperrte seine Zimmertür auf und ließ sich aufs Bett fallen. Ob er überhaupt dazu fähig wäre. Gassers Schuhe drückten ihm in den Rücken. Er setzte sich auf, zog sie aus dem Hosenbund und stellte sie vor sich auf den Boden. Er zog seine Trekkingschuhe aus und schlüpfte in die fremden Lederslipper. Sie passten. Das konnte er bei Größe 43 als Zufall durchgehen lassen. Doch wie seine eigenen an Gassers Füße gekommen waren … sie mussten ihm gestohlen worden sein, als er am Hotelflur
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