Schäfers Qualen
Stadtzentrum hielten, legte Schäfer dem Inspektor die Hand auf die Schulter und sah ihn schweigend an. Er entschuldigte sich erneut, wünschte ihm eine gute Nacht, stieg aus und drückte die Autotür zu. Auf dem Pflaster vor der Kirche waren nur mehr mit grüner Sprühfarbe aufgetragene Umrisse und ein dunkelbrauner Fleck zu sehen. Aus dem Kirchturmfenster drang das grelle Scheinwerferlicht der Spurensicherung. Wie in Trance stieg Schäfer noch einmal die steilen, gewundenen Treppen hoch. Der Beamte erschrak, als er Schäfers bleiches Gesicht im Türrahmen sah, hatte sich jedoch bald wieder gefangen. Es gäbe reichlich verschiedene Fingerabdrücke auf dem Glockenspiel und rundherum, das würde dauern. Schäfer erinnerte sich daran, wie er und seine Schulkameraden das kalte Metall angetappt hatten – das wäre bei den jetzigen Schulklassen, die hier herauf kamen, bestimmt auch nicht anders. Er wollte sich schon umdrehen und gehen, als ihm das Telefon einfiel, das er im Kirchturm gefunden hatte. Er bat den Beamten um einen Schutzhandschuh, zog ihn über und sah sich die Anrufliste an. Er notierte sich alle getätigten und erhaltenen Anrufe und gab das Telefon anschließend dem Kollegen von der Spurensicherung. Wieder auf der Straße, setzte er sich auf die Bank vor der Kirche und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bekommen. Ein paar Stunden schlafen, das würde ihm guttun. Er nahm sein Telefon und wählte die Nummer des Postens.
„Schäfer hier … Haben Sie schon die Nummer … ich meine, wem die Nummer gehört, die … Danninger … dem Pfarrer? … Gut. Ich bin morgen um acht am Posten. Rufen Sie mich an, wenn irgendetwas passiert … Ihnen auch.“
Pfarrer Danninger. Schäfer ging die Fußgängerzone hinunter in Richtung Hotel. Als er schon die Nachtglocke betätigen wollte, drehte er sich um und begann zu laufen. Nach fünf Minuten drückte er völlig außer Atem mehrmals auf den archaisch anmutenden schwarzen Klingelknopf aus Bakelit, der schon in seiner Kindheit neben der Tür des Pfarrhauses angebracht gewesen war.
15
„Johannes“, stellte Pfarrer Danninger fest, ohne irgendwelche Anzeichen von Überraschung oder gar Ärger zu zeigen. Er musterte Schäfer einen Augenblick, trat zur Seite und ließ ihn eintreten. Schäfer erkannte den Geruch im Pfarrhaus sofort wieder. Modriger Marmor, Lavendelseife, dazu der ewige Duft nach frischem Brot, das Danningers Köchin schon damals scheinbar pausenlos gebacken hatte, als ob sie damit die himmlischen Heerscharen versorgen müsste. Schäfer folgte Danninger in dessen Studierzimmer – ein ebenerdiger Raum mit altem Deckengewölbe und zwei kleinen Fenstern, die auf den Wildwuchs im Garten blicken ließen. Obwohl es ihn drängte, sein Anliegen vorzubringen, wartete er, bis ihn der Pfarrer dazu aufforderte. Der räumte umständlich einen Stuhl von Büchern und Papieren frei, legte einen Polster darauf und bot Schäfer einen Platz an.
„Wenn du etwas anderes als Wasser trinken willst, musst du es dir aus der Küche holen“, füllte Danninger zwei Gläser am Waschbecken in der Ecke und stellte sie auf den Tisch. Er setzte sich und sah Schäfer forschend an. „Wie geht es dir, Johannes?“
„Heute Nacht ist ein Mann ermordet worden … vor seinem Tod hat er mit Ihnen telefoniert.“
„Wir haben schon einmal Du zueinander gesagt …“
„Entschuldige … ich bin müde.“
Schäfer senkte das Kinn auf die Brust, worauf ihm der Pfarrer die Hand auf die Schulter legte, sie jedoch gleich wieder wegnahm.
„Dann ist der Gasser jetzt tot …“
„Was wollte er von dir?“
„Ich weiß es nicht. Er war aufgeregt und wollte mich unbedingt sprechen. Zuerst hab ich ihm gesagt, dass er morgen kommen soll. Aber es schien wirklich dringend zu sein. Worum es ging, hat er mit keinem Wort erwähnt.“
„Hast du ihn besser gekannt?“
„Nein. Er war nicht das, was man einen praktizierenden Christen nennt. Ich hab seine Mädchen getauft. Und die Trauung natürlich, dafür ist er schon in die Kirche gekommen. Aber sonst … du weißt ja, wie es ist: Geht’s ihnen gut, gibt’s mich nicht, geht’s ihnen schlecht … ich fühle mich manchmal wie ein Lackmuspapier, dessen Farbe sie erst sehen, wenn was Schlimmes in ihr Leben tritt.“
Schäfer musste lächeln. Der Pfarrer hatte seine Suche nach ausgefallenen bis unverständlichen Vergleichen noch nicht aufgegeben.
„Was ist mit den anderen beiden, Steiner und Krassnitzer?“
„Steiner war Jude, genau so wie
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