Schäfers Qualen
speicherte drei neue Dokumente ab: einen offiziellen Bericht, einen für Bergmann, einen für sich selbst.
Nachdem er die wichtigsten Fakten zusammengefasst hatte, schrieb er eine Liste mit den Aufgaben, die es am dringendsten zu erledigen galt. Die Ergebnisse der Spurensicherung hatten Zeit. Schäfer glaubte nicht, dass der Täter im Kirchturm oder im Haus der Gassers etwas von Bedeutung hinterlassen hatte. Wenn er will, dass ich was finde, dann stößt er mich wahrscheinlich wieder mit der Nase drauf, sagte Schäfer laut zu sich und ergänzte die Liste gleich um den Kauf neuer Schuhe. Er nahm sein Telefon zur Hand und wählte die Nummer von Obernauers Witwe. Nachdem er es mehrmals läuten gelassen hatte, legte er wieder auf. Eine Festnetznummer – das könnte dauern. Er ging sein Notizbuch durch und suchte die Nummer von Hinterholzer heraus. Nach dem ersten Läuten meldete sich Ekström. Schäfer erklärte ihm ohne genaue Begründung, dass er das Buch benötige, und fragte, wann er es abholen könnte. Ekström antwortete, dass er zuvor mit Hinterholzer sprechen müsse, weil er allein nicht über die Herausgabe dieses Heiligtums entscheiden könne. Er würde sich in der nächsten halben Stunde bei ihm melden.
Schäfer goss sich einen zweiten Kaffee ein und öffnete den Webbrowser, um sich in der Polizeidatenbank einzuloggen. Irgendetwas musste es geben über die drei Opfer. Fehlanzeige. Entweder sie waren nie offiziell straffällig geworden oder die Akten waren noch nicht digitalisiert und verstaubten in irgendeinem Archiv. Schäfer gab Obernauers Namen ein. Mehrere Anzeigen und Festnahmen wegen Raufhandels, Körperverletzung, gefährlicher Drohung und Hausfriedensbruchs. Schäfer ging die Namen derer durch, die Obernauer angezeigt hatten. Ein paar kannte er von früher, ein paar sagten ihm gar nichts. Als er den Browser schon schließen wollte, ging ihm plötzlich auf, wie der Täter Gassers Fall beobachten hatte können. Er ging auf ein Suchportal und gab „Webcams Kitzbühel“ ein. Der erste Eintrag brachte ihm das gewünschte Ergebnis. Fünf steuerbare Kameras, mit denen man die gesamte Innenstadt und die beliebtesten Wandergebiete in Echtzeit im Blick hatte. Aufgeregt griff er zum Telefon und rief Halder an.
„Halder, Schäfer hier. Ich glaube, der Täter hat den Gasser über die Webcams beobachtet, die in der Innenstadt montiert sind. Können Sie mir irgendwie herausfinden, wer in den letzten Tagen auf diese Seite zugegriffen hat? … Danke … Nein, Halder, das habe ich Ihnen zu verdanken.“
Ein kleiner Schritt, dachte sich Schäfer, als es an der Tür klopfte. Er stand auf und ging ins Zimmer. Hinterher konnte er sich selbst nicht erklären, warum er sich seine Dienstwaffe gegriffen hatte, bevor er zur Tür ging. Wahrscheinlich war es die kurze Gewissheit, dem Täter näher gekommen zu sein, die ihn in Verbindung mit dem resoluten Klopfen nervös gemacht hatte. Mit Ekström hatte er allerdings gar nicht gerechnet. Der blonde Riese schaute den bewaffneten Schäfer entgeistert an und hielt ihm eine Papiertasche entgegen.
„Herr Hinterholzer lässt Sie schön grüßen und bittet Sie, das Buch mit der gebührenden Sorgfalt zu behandeln“, sagte er formelhaft und verabschiedete sich auch gleich wieder.
Schäfer stand in der offenen Tür, hielt in der linken Hand die Tragetasche, in der rechten die entsicherte Glock, und starrte Ekström ungläubig hinterher. Jetzt hatte nur noch die Livree gefehlt. Konnten sich denn die Menschen in diesem Ort nicht wenigstens halbwegs so benehmen, wie man es von ihnen erwartete? Er ging ins Zimmer zurück, legte seine Waffe ab und zog das schwere Lederalbum aus der Papiertasche. Andererseits hatte Hinterholzers Vorgehensweise auch Vorzüge, gestand sich Schäfer ein und setzte sich mit dem Buch auf den Balkon. Er zerriss ein paar Seiten seines Notizblocks, um sie als Merkzeichen zu verwenden, und schlug den Ledereinband auf.
Skischule Kitzbühel, 1965–1985. Vorsichtig blätterte Schäfer die erste Seite um und widmete sich den Bildern. Nach weiteren drei Seiten wusste er, warum Hinterholzer das Buch wie einen Schatz behandelte: Grace Kelly, Prinzessin Soraya, Prinz Edward … die meisten Fotos zudem mit Autogrammen versehen. Schäfer fragte sich, warum er aus seiner Jugend ein ganz anderes Bild seiner Heimatstadt hatte. Anstelle einer zurückhaltenden Prinzessin wäre ihm eher Attila der Hunnenkönig eingefallen: randalierende Schwedenhorden, grölende Deutsche,
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