Schäfers Qualen
strahlte vor stolzer Freude, während sie Schäfer beim Hineinschaufeln zusah.
Schäfer lehnte sich zurück und legte beide Hände auf den Bauch. „So gut hab ich sicher schon seit zwanzig Jahren nicht mehr gegessen. Oder wann war ich das letzte Mal da?“, lächelte er sie an.
„Ach der Johannes, hast schon immer gewusst, wie es mit den Frauen geht“, tätschelte sie ihm die Hand.
Danninger stand auf und half seiner Köchin, den Tisch abzuräumen. Ob er einen Kaffee wolle? Schäfer stimmte zu. Schläfrig vom schweren Essen, saß er auf der Eckbank und beobachtete die fast liebevolle Choreografie, mit der die beiden an der Küchenzeile hantierten. Sie setzte den Wasserkocher auf, er räumte das Geschirr in den Spüler, sie nahm drei Tassen aus dem Oberschrank, er stellte ihr die Milch hin. Schäfer hatte sich selten so geborgen gefühlt.
Der Pfarrer stellte zwei Kaffeetassen, ein Milchkännchen und eine silberne Zuckerdose auf ein Tablett, nahm es mit beiden Händen und bat Schäfer, ihm die Tür aufzuhalten, damit sie in den Garten gehen konnten.
„Und, bist du weitergekommen?“ Danninger stellte das Tablett auf einen Stuhl und wischte mit der Handfläche Pollenstaub und Blüten vom Gartentisch, dessen Verwitterungszustand zeigte, dass ihn der Pfarrer Winter wie Sommer dort stehen ließ.
„Ja und nein … ich habe ein paar Fakten mehr, aber es fehlt mir der Zusammenhang. Dass Kim Novak die Hauptrolle in ‚Vertigo‘ gespielt hat und vor vierzig Jahren in Kitzbühel war, wo sie Steiner und vielleicht auch Gasser als Skilehrer hatte, das wird wohl eher Zufall sein. Wenn man lange genug darüber nachdenkt und alle möglichen Bücher und Filme durchschaut, gibt es sicher noch unzählige Parallelen mehr.“
„Zufall ist es keiner, Johannes. Nicht weil ich nicht an Zufälle glaube, aber wer treibt so einen Aufwand, um jemanden vom Kirchturm stürzen zu lassen, wenn er dir nicht was sagen will?“
„Und was ist mit der Kreuzigung? Und wofür steht das Betongrab?“
„Das ist weitaus schwieriger, weil so viele gekreuzigt worden sind. Und wenn du nicht zufällig einen Jesus kennst, hast du eine ziemliche Märtyrerliste. Lebendig begraben, da weiß ich nur einen: Simeon, ein früher Christ aus Persien, der zusammen mit Abraham und Mahanes eingesperrt wurde, weil er den persischen Sternenkult ablehnte. Abraham haben sie mit einem glühenden Eisen die Augen ausgestochen, Mahanes wurde vom Kopf bis zum Nabel aufgeschlitzt, und Simeon eben lebendig begraben.“
„Der Steiner hat zwar Simon geheißen, aber das passt nicht ins Schema.“
„Vielleicht ist es kein Schema, wie du es dir vorstellst oder wünschst.“
„Möglich“, murrte Schäfer und holte das Album aus der Papiertasche, um mit Danninger die Bilder durchzugehen. Als er die Seite mit dem Bild aufschlug, das Steiner und das Paar mit dem Kind zeigte, hielt der Pfarrer inne.
„Ja, der Julius“, sagte er lächelnd.
„Julius wer?“, fragte Schäfer nach.
„Der Kleine von Habermann, die Deutschen, die oben am Römerweg wohnen.“
„Und das da sind seine Eltern?“
„Ja, Julius der Dritte und seine Frau, eine Habsburg aus der Toskanalinie.“
„Ich bin am Berg oben bei einer Bank vorbeigekommen, die der Habermann der Stadt geschenkt hat …“
„Ja, der hat viel getan für die Stadt, war ja selbst dauernd in den Bergen unterwegs.“
„Was heißt war? Lebt er nicht mehr?“
„Nein, der ist vor … lass mich nachdenken, neunzig muss das gewesen sein, da hat er einen Schlaganfall gehabt und ein paar Wochen später war er tot.“
Danninger blätterte weiter und kommentierte viele der Bilder, während Schäfer wie ein Stenograf daneben saß, seine Merkzettel mit Ortsangaben, Jahreszahlen und Namen versah und über das famose Gedächtnis des Pfarrers staunte. Sie kamen zu einer Doppelseite, die ausschließlich Fotos von einem Faschingsball zeigte, den eine handschriftliche Notiz auf 1976 datierte. Eins der Bilder erregte sofort Schäfers Aufmerksamkeit. Steiner, Krassnitzer, Gasser und ein vierter Mann saßen rund um einen Tisch, auf dessen verschmutzter Tischdecke mehrere Zigarettenschachteln lagen, zwei volle Aschenbecher und unzählige leere Gläser standen. Die vier Männer, sichtlich angetrunken und bester Laune, hielten ihre gefüllten Weingläser hoch und prosteten dem Betrachter zu. Irgendwo glaubte Schäfer den ihm Unbekannten schon einmal gesehen zu haben.
„Wer ist der Vierte da?“, wandte sich Schäfer an den Pfarrer.
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