Schäfers Qualen
Bein versteckt hielt, Marias Knie umklammerte und zu ihm aufschaute.
„Na, willst du dem Johannes gar nicht guten Tag sagen.“ Maria hob ihre Tochter hoch, die sofort das Gesicht an die Schulter ihrer Mutter drückte.
„Du hast eine Tochter“, stellte Schäfer fest, als würde er sagen: Du hast da was in den Haaren.
Maria zog die linke Augenbraue hoch – eine Geste, die ihm allzu vertraut war – und sah ihn an, als ob er nicht ganz bei Trost wäre.
„Nein, die hab ich mir nur von der Nachbarin ausgeliehen, um dir klarzumachen, dass das nichts mehr wird mit uns“, sagte sie mit einem herausfordernden Grinsen. „Das ist Katharina. Sie wollte unbedingt aufbleiben, um dich kennenzulernen“, sprach sie nun ins Haar der Kleinen, „und jetzt traut sie sich nichts mehr saaaaagen.“
Als ob sich das Mädchen diese Provokation nicht gefallen lassen wollte, drehte sie plötzlich ihren Oberkörper zu Schäfer hin und sagte: „Ich bin drei Jahre. Du bist Polizist.“
Schäfer, der bis jetzt wie ein eben angeliefertes Möbelstück auf der Schwelle gestanden hatte, erwachte aus seiner Trance und meinte lächelnd: „Das stimmt. Willst du vielleicht auch einmal Polizistin werden?“
Das Mädchen, dem diese Überlegung noch so fremd war wie Algebra, drehte sich wieder zum Gesicht seiner Mutter und schaute sie fragend an.
„Erst einmal gehst du in den Kindergarten und dann sehen wir weiter“, bestimmte Maria und küsste ihre Tochter auf die Stirn. „Und jetzt komm endlich herein; was sollen denn die Nachbarn denken.“ Sie trat schelmisch lächelnd zur Seite, um Schäfer ins Haus zu lassen, machte die Tür zu, meinte, dass er die Schuhe anlassen solle, und ging ihm voraus ins Wohnzimmer. Mit der freien Hand deutete sie in Richtung Küche und sagte, er solle sich etwas zu trinken nehmen – sie würde schnell die Kleine ins Bett bringen.
Schäfer nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie mit seinem Feuerzeug und setzte sich an den kleinen Küchentisch, der wohl für den Fall gedacht war, dass Maria oder ihr Mann allein frühstückten oder eine schnelle Abendmahlzeit einnahmen. In drei hastigen Schlucken trank er die halbe Flasche leer – er war nervös, fühlte sich beklommen und wünschte sich im Moment nichts anderes, als dieses Haus fluchtartig zu verlassen. Er trank die Flasche aus, versteckte sie im Altglasbehälter und nahm ein neues Bier aus dem Kühlschrank. Außen würde es erträglicher sein. Er durchquerte das Wohnzimmer, öffnete die Terrassentür und ging in den Garten hinaus. Er hatte seine Zigarette eben auf dem Steinboden ausgedämpft und über die Hecke geworfen, als er ihre Schritte hörte.
„Du hättest auch einen Aschenbecher haben können. Marc weiß, dass du heute zu Besuch bist.“
Schäfer drehte sich zu ihr um und versuchte ihren Gedankengang nachzuvollziehen. Ohne etwas zu erwidern, setzte er sich auf die Holzbank, die an der Mauer stand.
„Ich kann nicht lange bleiben.“
„Das hat auch niemand verlangt“, antwortete sie mit einem sanften Lächeln und setzte sich neben ihn. Für einen Moment dachte er, dass sie ihre Hand auf seinen Arm gelegt hätte, doch da war sie schon wieder aufgestanden.
„Aber für eine Jause hast du sicher Zeit“, sagte sie und verschwand im Haus.
Er zündete sich eine weitere Zigarette an und schaute auf die Silhouette der Innenstadt, auf den beleuchteten Kirchturm, von dem sich Gasser gestürzt hatte. Warum die Schuhe? Warum verfolgte der Täter ihn? Kannte er ihn?
Maria kam zurück und stellte ein Tablett mit aufgeschnittenem Schwarzbrot, Butter, einem Stück Speck, Käse, Tomaten und Essiggurken auf den Gartentisch. Schäfer stand träge auf, setzte sich an den Tisch, nahm sich eine Scheibe Brot, legte es auf den Teller und bestrich es mit Butter. Dann starrte er das Stück Speck so lange an, bis Maria das Holzbrett zu sich zog, ein paar Scheiben abschnitt und sie ihm auf den Teller legte.
„Johannes“, klopfte sie mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, „sagst du jetzt bitte etwas oder soll ich mir selber zusammenreimen, was bei dir da oben vorgeht?“
Schäfer sah sie an und begann ihr die Geschehnisse der letzten Tage vorzutragen – wie aus einem unsichtbaren Buch, das nur er vor sich sah. Er erzählte ihr von seinem Rausch, den gestohlenen Schuhen, der Begegnung mit dem Pfarrer; ein paar Sachen behielt er für sich.
„Und was denkst du jetzt?“, fragte sie ihn, nachdem er wieder in Schweigen verfallen war, „dass
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