Schäfers Qualen
du der Nächste bist? Warum sollte jemand gegen dich etwas haben? Ich meine: bis auf mich und … Tschuldigung, war ein Scherz …“
Sie hielt inne und legte diesmal wirklich ihre Hand auf seinen Arm. Dann zog sie sie plötzlich zurück, als hätte sie einen Stromschlag abbekommen; griff zu ihrem Glas und schenkte sich überhastet ein, was zur Folge hatte, dass der Bierschaum über den Glasrand quoll, auf den Tisch floss und zwischen den Teakholzbohlen auf ihre Oberschenkel tropfte.
„Mist!“, sprang sie auf und lief in die Wohnung, um mit einem Geschirrtuch wiederzukommen, das sie benutzte, um den Tisch abzutrocknen.
Schäfer, der die Szene verwundert beobachtet hatte, konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Das ist nicht dein Ernst“, hatte er ihre Gedanken erraten und lachte, „ich war in Wien, als Steiner und Krassnitzer ermordet worden sind. Und als der Gasser vom Kirchturm gesprungen ist, war ich beim Hinterholzer, wenn du dich erinnerst. Was glaubst du eigentlich von mir?“
„Tut mir leid“, sah sie ihn entschuldigend an, „ich war nur … du hast früher schon extreme Ansichten über ein paar Leute hier gehabt … dass man die wegschaffen muss und so … natürlich war das … tut mir leid … ich weiß auch nicht, warum ich so was von dir denken konnte.“
Schäfer nahm sich eine Zigarette aus der Packung, zündete sie an und achtete darauf, den Rauch nicht in ihre Richtung zu blasen.
„Weil du mich kennst … Aber was soll das mit den Schuhen? Das geht nur an mich … er muss mich verfolgt haben, womöglich sogar bis ins Hotel …“
„Vielleicht braucht er dich …“
„Ich glaube, ich kenne ihn“, sagte Schäfer leise in den Nachthimmel, obgleich davon keine Rede sein konnte.
„Glauben heißt nicht wissen. Das sind zwei Paar Schuhe“, bemühte Maria sich, die angespannte Atmosphäre aufzulockern.
„Es sind so viele Zusammenhänge, das können nicht alles Zufälle sein“, begann Schäfer seine Schläfen zu massieren, „die hatten alle drei Dreck am Stecken … und ich selbst …“
„Was willst du damit sagen? Weil du mich immer wieder verlassen hast und dann alles getan hast, damit ich dich zurücknehme … weil du mich andauernd betrogen hast? Ja, du warst ein Arschloch, aber verdammt noch mal, nimm dich nicht so wichtig! Du verfolgst Spuren, die du dir selbst gelegt hast oder von mir aus auch der Pfarrer Danninger. Und der besoffene Rohrschacher, der dir was vom besoffenen Obernauer erzählt … was willst du damit anfangen?“
„Ich bin hier, weil ich hier sein soll. Weil derjenige, der das angerichtet hat, genau mich hier haben will …“
„Und wie soll er das hinbekommen haben … und warum? Du hast selbst gesagt, dass dich dein Vorgesetzter hergeschickt hat, weil der Bürgermeister interveniert hat. Du bist ein erfahrener Polizist und kennst dich hier aus … da geht es um deine Funktion und nicht um deine Person … werde doch nicht paranoid.“
„Paranoid? Wenn ein Irrer, der hier Leute abschlachtet, mich verfolgt und mir im Schlaf die Schuhe auszieht …“
„Deswegen musst du nicht gleich laut werden.“
„Entschuldige bitte.“ Schäfer sah ihr in die Augen, und im gleichen Moment, als er das Martinshorn hörte, läutete auch sein Handy. Er griff hastig in seine Jacketttasche und sprang auf.
„Ja … Wer? Senn? … Ja, Walch, ich weiß, wer Senn ist … Und wo? … Ich bin sofort da!“
Er steckte das Telefon ein, beugte sich zu Maria, um sie auf die Wange zu küssen, was in der Hast zur Berührung ihrer beider Lippen führte, der sie beide schnell auswichen; dann stand sie auf, sie standen sich einen Moment gegenüber, der wie ein Vakuum war, das keiner von ihnen zu füllen wusste; Schäfer stupste ihr mit der Hand an die Schulter, sie senkte den Blick, er drehte sich um und lief durch den Garten zur Straße; pass auf dich auf, sagte sie so leise, dass er es auf keinen Fall mehr hören konnte; bevor sie sich wieder hinsetzte, auf das Glas starrte, das sie wieder und wieder um seine Mittelachse drehte, bis sie sich mit zitternder Hand den Rest aus der Bierflasche einschenkte.
27
Kein Vergleich zum Szenario, das Schäfer nach Gassers Kirchturmsturz vorgefunden hatte. Fast schien es, als ob am Friedhof der Respekt vor den Toten auch auf die Beamten Einfluss nahm, die schweigend, oder höchstens flüsternd, den vermutlichen Tatort sicherten. Senn lag rücklings und wie schlafend auf einer Grabsteinplatte; darunter die Familie Rosental, deren
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