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Schäfers Qualen

Schäfers Qualen

Titel: Schäfers Qualen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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zuletzt Verstorbener Richard Rosental war, heimgegangen 1990 im Alter von 97 Jahren. Schäfer wandte sich an den Arzt, der untätig neben der Leiche stand.
    „Ich habe nicht gehofft, dass wir uns so bald wiedersehen.“
    „Jetzt reicht’s dann aber auch einmal.“ Der Arzt ging neben dem Toten in die Hocke.
    „Soweit ich es bislang beurteilen kann, ist er nach einem Schlag auf den Hinterkopf gestorben. Wobei er natürlich auch hingefallen und auf die Kante da aufgeschlagen sein kann. Dann müsste allerdings jemand das Blut abgewischt haben.“
    „Wie lang ist er schon tot?“
    „Ich bin gerade erst gekommen, aber … der gemessenen Körpertemperatur nach, und in Anbetracht der Totenflecken und der erst teilweise eingesetzten Leichenstarre: drei bis vier Stunden, aber das ist sehr grob geschätzt.“
    „Was ist mit dem Blut?“
    „Keine Ahnung, wie gesagt: weggewischt oder er ist woanders erschlagen und dann hier abgelegt worden. Was auch die Art und Weise nahelegt, wie er aufgebahrt ist. Hingefallen ist er in diese Stellung sicher nicht.“
    „Danke, ich denke, dass Sie heimfahren können.“ Schäfer klopfte ihm auf die Schulter und wandte sich ab, um nach Walch Ausschau zu halten, den er ein paar Gräber weiter mit Jöchl stehen sah.
    „Wer hat ihn gefunden?“, fragte er die beiden.
    „Der Mesner. Hat seinen Hund ausgeführt … macht er jeden Abend, wie er sagt, weil es dem Hund am Friedhof am besten gefällt.“
    „Verdammt“, fluchte Schäfer, worauf ihn seine Kollegen fragend anschauten.
    „Wir hätten ihn noch einmal vernehmen müssen … er hat doch zugegeben, dass Krassnitzer noch am Leben war, als er ihn gefunden hat. Senn muss entweder gewusst haben, wer ihn eingegraben hat oder was die drei ausgefressen haben.“
    „Er liegt auf dem Grab einer jüdischen Familie“, bemerkte Walch.
    „Und?“
    „Steiner war Jude. Erst das Kreuz, dann der Kirchturm, jetzt das Grab …“
    „Das muss nichts heißen“, beeilte sich Schäfer, den Ballast an vermeintlichen Zeichen, den er mit sich herumschleppte, nicht weiter zu vermehren.
    Als er sah, wie sich Jöchl und Walch daraufhin anblickten, lenkte er gleich wieder ein.
    „Natürlich kann es ein weiterer Hinweis sein, wir gehen dem auch nach. Aber zuerst sollten wir einmal darüber nachdenken, wer Senn umgebracht hat: der, der die anderen drei auf dem Gewissen hat? Oder gibt es einen Vierten, der mit ihnen in irgendein dubioses Geschäft verwickelt war und den Senn erpressen wollte, nachdem Krassnitzer ihm den Namen genannt hat?“
    Walch und Jöchl erwiderten nichts, worauf Schäfer sich umdrehte und zurück zu Senns Leiche ging. Er lehnte sich an einen Grabstein und holte seine Zigaretten aus dem Jackett. Hatten sie überhaupt die Spurensicherung schon informiert? Ihm doch egal. Wenn sie mehr Verantwortung wollten: konnten sie haben. Dann sollten sie ihre eigenen Fehler machen. Er fühlte sich kraftlos und verlassen. Scheinbar ziellos schlenderte er die Gräberreihen entlang, sah sich die Namen der Verstorbenen an, bis er vor einem Grab stehenblieb, sich mit dem Rücken zur Inschrift auf die steinerne Beetumrandung setzte und still vor sich hin rauchte, bis die Spurensicherung eintraf. Er stand auf, wechselte ein paar Sätze mit ihnen, verabschiedete sich von seinen Kollegen mit dem Hinweis, dass er am folgenden Morgen um acht Uhr im Revier sein würde, und verließ den Friedhof. Er wusste, er hätte bleiben sollen – mit dem Mesner sprechen, vielleicht die ersten Ergebnisse der Spurensicherung abwarten; Senns Verwandte informieren, Freunde und Bekannte ausfindig machen, ob er ihnen etwas erzählt hätte – er sah sich einfach nicht imstande dazu.
    Er war erschöpft und gleichzeitig zu erregt, als dass er damit rechnen konnte, sich hinzulegen und schlafen zu können. Meine Schritte lenken mich, sagte er sich, als er schließlich vor dem Haus seiner Eltern zu stehen kam. Sein Vater öffnete die Tür und sagte noch vor einer Begrüßung: „Deine Mutter schläft schon.“
    Was sollte das jetzt? Kein überraschtes oder vielleicht sogar erfreutes Gesicht. Nichts, das darauf hindeutete, dass er seine Eltern seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Als ob er jeden Abend hier anläutete. Da er jedoch im Tonfall seines Vaters keinerlei Verstimmung erkannte, nahm er an, dass dieser ihn nur ersuchen wollte, leise zu sein. Mit einer Geste deutete ihm der Vater, rasch einzutreten, was Schäfer verwundert befolgte, obgleich er keinen Grund dafür sah.

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