Schäfers Qualen
stützte sich mit den Handflächen auf den Tisch und sagte abschließend: „Ich denke mir, dass noch keiner von euch mit so einem schwierigen Fall zu tun gehabt hat. Ich will jetzt auch nicht auf Oberlehrer machen, aber ihr könnt mir glauben, dass so was an die Substanz geht. Da sind Spannungen nur normal, und wenn man das Gefühl hat, nicht weiterzukommen, kann man leicht einmal die Geduld verlieren. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn oder die kriegen, die uns zurzeit das Leben schwer machen. Bleibt dran und schaut auch aufeinander.“
Fast synchron standen alle in der Runde auf und Schäfer hoffte, der drohenden Meuterei noch einmal entkommen zu sein. Mit Baumgartner müsste er noch sprechen. Auch wenn sie ihm gegenüber auf Distanz ging, hielt er sie doch für eine sehr kompetente Polizistin, und er würde sie bitten, in seiner Abwesenheit die Ermittlungen in einer Weise zu überwachen, die Walch nicht kompromittieren würde.
Als er sicher war, dass alle Fragen geklärt waren und er sich zum Gehen wandte, läutete es. Ein Bote vom Expressdienst, der ein Paket für einen Major Schäfer hatte. Der nahm es entgegen, bestätigte auf dem Touchscreen den Empfang und verließ das Revier. Im Hotel öffnete er als Erstes das Paket und setzte sich mit dem Inhalt auf den Balkon. Die Akte des Banküberfalls; und ein in einem Plastiksäckchen verpacktes Geschoss, dessen Verformung Schäfer vermuten ließ, dass es einen Knochen des Filialleiters getroffen hatte. Mit dem Bericht selbst war Schäfer nach knapp einer Stunde fertig. Im Grunde nur eine detaillierte Ausführung von Foidls Erzählung. Was Schäfer ein wenig irritierte: Warum hatte einer der Täter auf Raimund Sonnbichler, den Bankbeamten, geschossen? Laut dessen Aussage hatte er den Aufforderungen der maskierten Räuber sofort Folge geleistet, keine verdächtige Bewegung gemacht oder gar den Alarm ausgelöst. Zudem wurde er, nachdem er das Geld ausgehändigt hatte, zusammen mit seiner Kollegin mit einem Isolierband gefesselt und in einen Schrank gesperrt, aus dem sie die Gendarmerie befreite, nachdem eine Kundin den Schalterraum und die Büroräume verlassen vorgefunden hatte.
Was soll’s, dachte Schäfer und legte die Akte beiseite, weil ihm wieder eingefallen war, dass er noch keinen Flug nach Rom hatte. Da das Reisebüro in Kitzbühel sonntags nicht geöffnet hatte, kontaktierte er direkt den Flughafen München und ließ sich mit der Angestellten einer deutschen Luftlinie verbinden. Der einzig noch verfügbare Flug ging um 22:30 Uhr; bei zwei früheren Flügen waren nur noch Plätze in der Businessclass frei. Schäfer überlegte kurz und entschied sich für den späteren Flug; er wollte den bestimmt schon übel gelaunten Oberst Kamp nicht noch zusätzlich mit einer horrenden Spesenrechnung verstimmen. Bei der Unterkunft hatte er weniger Skrupel: Da Friedrich in einem Fünf-Sterne-Hotel residierte, auf dessen Dachterrasse auch ein Teil des Werbefilms gedreht werden sollte, erachtete Schäfer es für sinnvoll und zeitsparend, in Friedrichs Nähe zu logieren, und reservierte ein Zimmer im selben Hotel. Als er mit den Reisevorbereitungen fertig war, fuhr er seinen Computer hoch, um die versprochenen Berichte zu schreiben und etwaige Mails zu verschicken.
Nach diesem Pflichtprogramm schaute er auf die Uhr und stellte fest, dass es erst kurz vor Mittag war. Noch acht Stunden Zeit, bevor er nach München musste. Er schaute in den bewölkten Himmel, der die Temperaturen für sein Empfinden erträglich machte. Den verlorenen Schlaf konnte er auch noch in Rom nachholen; ein ausgiebiger Spaziergang würde seinem instabilen Gemüt auf jeden Fall zuträglicher sein.
29
Schäfer stand vor dem Hotel und konnte sich nicht entscheiden: Rund um den See war an einem Sonntag wahrscheinlich zu viel los. Für einen Marsch auf den Hahnenkamm fühlte er sich zu schwach; und nach der Hälfte umzukehren, hätte etwas von einer Niederlage. Blieb ihm die Altherrenrunde: Ein Spazierweg mit geringen Höhenunterschieden, der sich von einem kurzen Beinevertreten, das vor allem bei Senioren sehr beliebt ist, beliebig zu einer vierstündigen Tour für ambitionierte Wanderer erweitern lässt, die, begleitet von einem einzigartigen Panorama, in den Nachbarort – Blumendorf Tirols 1999! – gelangen und über die malerische Hügellandschaft des Bichlachs wieder zurück nach Kitzbühel, wo in einem der zahlreichen Cafés und Restaurants schon eine zünftige Jause auf sie wartet.
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