Schäfers Qualen
Der schwülstige Werbetext des Wanderführers, den er an der Rezeption mitgenommen hatte, war nicht der Grund, warum sich Schäfer schließlich für diese Variante entschied; sondern die Tatsache, dass die Anwaltsvilla an diesem Weg lag. Er hatte eben erst einen Fuß auf den Gehsteig gesetzt, als sein Mobiltelefon läutete. Oberst Kamp. Schäfer atmete tief durch, bevor er die Empfangstaste drückte.
„Schäfer! Hören Sie auf zu schwafeln! Was geht eigentlich vor in diesem Alpen-Saint-Tropez? Das sind ja schon amerikanische Verhältnisse. Je länger Sie dort sind, desto mehr Tote gibt es … Wer ist dieser Senn? … Kollateralschaden? … Nun denn … und was machen Sie eigentlich den lieben langen Tag? … Also Major, ich weiß ja, dass Ihre Methoden nicht immer mit unseren Erwartungen konform gehen, aber ein bisschen Contenance … Also, wer ist der Bursche? … Was für eine Erpressung? … Schäfer, was ich brauche, sind: Ergebnisse! Der Innenminister war gestern bei mir und hat mich aufgefordert, mehr Beamte abzustellen; warum wir noch keinen Gerichtspsychiater haben für ein Täterprofil; warum wir nicht alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um dieser Rufschädigung eines in der Weltöffentlichkeit stehenden Tourismuszentrums, eines Aushängeschilds der Schönheiten Österreichs endlich ein Ende zu setzen … Natürlich geht es auch um die, da gebe ich Ihnen recht, die menschliche Komponente ist nicht außer Acht zu lassen, aber ich habe in meiner Funktion das Bild der öffentlichen Sicherheit gewissermaßen … also, zu gewährleisten, dass es die eben gibt … Was für einen Bericht? … Ich habe jetzt keinen Zugang zu einem Computer, geben Sie mir die Kurzfassung … RAF? … Und ich war der Meinung, dass das endlich vorbei ist und vergessen“, sagte Kamp in einem Tonfall, der Schäfer erahnen ließ, dass die Bereitschaft des Oberst, sich an einem Sonntag mit derart diffizilen Mordermittlungen auseinanderzusetzen, im Schwinden begriffen war. Wen denn das Innenministerium als Unterstützung angedacht hätte, wollte Schäfer wissen. Und ob nicht Bergmann der richtige Mann für so einen Fall wäre, der Übersicht und Disziplin verlangte.
„Ich werde sehen, was sich machen lässt“, schloss Kamp, bereits kurz angebunden. „Schäfer. Ich lese mir Ihren Bericht durch und wir hören uns morgen. Halten Sie die Ohren steif!“
Nach einer Viertelstunde hatte Schäfer die Villa des Anwalts erreicht. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte die Thujenhecke nach unten, um einen Blick auf das Anwesen werfen zu können. Im nächsten Moment hörte er ein zorniges Knurren, das unnatürlich langsam anschwoll und sich umso überraschender zu einem wütenden Bellen steigerte, das plötzlich gemeinsam mit dem zähnefletschenden Schädel eines monströsen Rottweilers in seiner unmittelbaren Nähe, genauer gesagt, knappe zwanzig Zentimeter vor seinem Kopf auftauchte. Erschrocken ließ er sich zurückfallen und landete auf einer Wurzel, worauf ihm ein stechender Schmerz vom Steißbein bis in die Nackenwirbel fuhr. Mistvieh, wo ist meine Pistole, fluchte er vor sich hin, als er eine näher kommende Stimme hörte, die lauthals „Cerbere, sit“ rief. Das wird ja immer grotesker, dachte Schäfer. Der Höllenhund, der Englisch versteht. Beim nächsten Satz des Hundebesitzers wurde Schäfer allerdings klar, dass er sich geirrt hatte.
„Recede, Cerbere, sed perge hostem cavere“, hörte er die Stimme sagen.
„Jessas“, entfuhr es Schäfer, als er mitbekam, dass das Herrl mit seinem Monster auf Latein kommunizierte und „sit“ wohl als verkürzte Form von „hic sit – hier sei er“ funktionierte.
Der nächste Satz war bereits an ihn gerichtet: „Was wollen Sie hier? Das ist Privatgrund.“
„Der Grund, auf dem ich mich befinde, ist öffentlich“, entgegnete Schäfer verärgert, „und wenn Ihr Monster seine Schnauze nur zehn Zentimeter über Ihre hübsche Hecke hinwegsetzt, um mich anzugreifen, kriege ich Sie wegen Körperverletzung dran und der Höllenwächter fährt per Spritze direkt in die Unterwelt.“
„Sieh an, sieh an“, kam es von der anderen Seite, „Major Schäfer. Angesichts der turbulenten Ereignisse mussten Sie ja früher oder später hier auftauchen.“
„Hatten wir schon mal das … ähm … Vergnügen?“, fragte Schäfer verwundert und sah sich nach Überwachungskameras um.
„Nicht persönlich, nein“, erklärte die Stimme herablassend, „Sie haben vor zwei Jahren einen
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