Schäfers Qualen
Alter, der sich ernsthaft Sorgen um ihn zu machen schien.
„Nein“, antwortete Schäfer ehrlich, „ich bin etwas durcheinander.“
„Wollen Sie einen Moment hereinkommen?“
Schäfer, dem der Fremde vom ersten Augenblick an sympathisch war, nickte nach kurzem Zögern und ging in Richtung Tor. Als er das Namensschild am Postkasten sah, konnte er sich ein etwas irres Lachen nicht verkneifen.
„Es geht Ihnen offensichtlich schon wieder besser“, meinte der Mann auf der anderen Seite pikiert.
„Tut mir leid … ich bin nur … ich bin Polizist und ich kann Ihnen das gern erklären.“
„Na dann bin ich mal gespannt“, erwiderte von Habermann und öffnete ihm das Tor.
30
„Möchten Sie einen Hollersaft? Hab ich selbst angesetzt“, sagte von Habermann und goss aus einer etikettenlosen Flasche einen Schuss Sirup in einen Krug, den er anschließend unter dem Wasserhahn auffüllte.
„Gern“, antwortete Schäfer, der eben noch das Wohnzimmer bewundert hatte, nun auf der Schwelle zur Küche stand und seinem Gastgeber zusah.
„Die Hollerbüsche in unserem Garten sind von einzigartiger Qualität.“ Von Habermann hielt Schäfer ein Glas hin. „Nicht, dass ich das je überprüft hätte, aber meine Großmutter war davon überzeugt. Wie übrigens auch von den meisten anderen Dingen im Besitz unserer Familie“, fügte er mit einem Lächeln hinzu.
„Besitz kann man so und so verwenden …“
„Da stimme ich Ihnen zu“, antwortete von Habermann nach einer kurzen Pause und lud Schäfer ein, ihm ins Wohnzimmer zu folgen.
„Sie sagten vorhin, dass Sie mir etwas erklären könnten.“ Er durchsuchte in einem alten Schrank eine beachtenswerte, aber kaum geordnet zu nennende Schallplattensammlung und entschied sich schließlich für das „Stabat Mater“ von Verdi, wie Schäfer auf der Plattenhülle erkennen konnte.
„Es ist nicht ganz so einfach.“
„Es ist Sonntag …“
Schäfer begann zu reden. Und ohne dass er Einfluss darauf nehmen konnte, entwickelte sich der Bericht über die Morde, die Opfer und deren Verstrickungen zu einer Erzählung, die für den Fall unbedeutende Einzelheiten ebenso in sich aufnahm wie Ereignisse, die sich vor seinem Eintreffen in Kitzbühel ereignet hatten. Die Bank, die der Vater seines Gastgebers gespendet hatte, Schäfers Traum, in dem Rohrschacher mit den Knochen tanzte, die Graffl-Wetti mit ihrem Argos, Maria, die Vorwürfe, die ihn verfolgten – Fakten, Ahnungen und Fantasien, sie entfalteten sich zu einer Geschichte über Schäfer selbst. Erschöpft machte er eine Pause und blickte seinen Zuhörer an, der aufrecht in seinem Fauteuil saß und Schäfer fasziniert gelauscht hatte. Von Habermann stand auf, um die Platte umzudrehen, die schon lange keinen Ton mehr von sich gab.
„Ich frage mich, wie Sie als Polizist funktionieren können.“
Schäfer, der sich nach seiner Offenbarungstour ausgelaugt fühlte, antwortete nichts.
„Ich habe wenig Erfahrung mit der Polizei“, fuhr von Habermann fort und klopfte lächelnd auf den Beistelltisch aus Eichenholz zwischen ihnen, „aber einen Polizisten, noch dazu einen in Ihrer Position, hab ich mir vorgestellt wie … eher kompakt, wie aus einem Guss … unkomplizierter … ein wenig dümmer im positiven Sinne … Sie sind so … vielschichtig … verzeihen Sie mir das plumpe Wortspiel: eher wie ein Bastard als ein reinrassiger Schäfer. Eine Mischung aus, sagen wir um der Heimat willen, einmal Walde, dann vielleicht Schiele, dem Sie übrigens wirklich ähneln, und meinetwegen Basquiat. Ein interessantes Stil-Potpourri, zweifelsohne, aber sicher nicht immer leicht zu genießen. Und ganz ehrlich: Wenn ich mich an die Polizei zu wenden hätte und Sie kämen mir unter, hätte ich meine Zweifel, ob meine Anliegen bei Ihnen gut aufgehoben wären“, meinte er lachend.
„Da geht es mir nicht viel anders“, erwiderte Schäfer müde, „aber seltsamerweise ist es so, dass meine Aufklärungsquote doppelt so hoch ist wie die des durchschnittlichen Polizisten in derselben oder einer vergleichbaren leitenden Position.“
„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch“, erwiderte von Habermann rasch, „wenn ich Sie nicht als außerordentliche Persönlichkeit einschätzte, würde ich mir nie solche Freiheiten herausnehmen. Es war wohl auch eher als Kompliment gemeint.“
„Danke“, antwortete Schäfer, der sich von seinem Gastgeber fast schon unangenehm durchschaut fühlte und auch deswegen dem Gespräch eine andere Richtung geben
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