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Schäfers Qualen

Schäfers Qualen

Titel: Schäfers Qualen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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auf dem Luther-King-Trip, hat von einer nötigen Wende in der Politik der RAF gesprochen, in die er nicht einmal …“
    „Wie lange waren Sie mit ihm in Kontakt?“
    „Eigentlich so gut wie gar nicht … Wir sind uns ein paar Mal in München über den Weg gelaufen … Sie wissen schon: Kommunensitzungen, ewiges Gelabere, die Oberschlauen, die jetzt in den Ministerien sitzen und sich gegenseitig beim Geldanhäufen einen herunterholen …“
    „Na ja“, wandte Schäfer lächelnd ein, „Ihre Wandlung ist ja auch nicht ohne.“
    Friedrich starrte schweigend in sein Weinglas und bedachte sein Gegenüber dann mit einem feindseligen Blick, der aber bald nur mehr stille Verzweiflung ausdrückte.
    „Radner hatte keinen Hass“, sagte Friedrich leise, „wahrscheinlich hätte er eher zum Hippie getaugt, aber die waren ihm zu schlaff. Ironischerweise hatte er einen wesentlich stärkeren Willen als ich, die Dinge zu verändern, loszuziehen, um für seine Ideale, wenn nötig, sein Leben zu lassen. Ich war da pragmatischer. Semtex war als Ideal gut genug“, schmunzelte er bitter, lehnte sich zurück und schloss die Augen, als sei das Gespräch für ihn beendet. Diesen Gefallen konnte ihm Schäfer nicht tun.
    „Wissen Sie, wo Radner jetzt ist?“
    „Nein … Südamerika, Syrien … Tirol?“, lachte er plötzlich los.
    „Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?“
    „In Kitzbühel, dem alpinen Babylon …“
    „Was haben Sie da eigentlich gemacht? … Abwäscher in einem Tourismusort, der von den Amerikanern ernährt wird, wie ist sich das ausgegangen? Haben Sie die Dollars für den Kauf von Waffen gespart?“
    Friedrich lächelte müde und nahm einen Schluck.
    „1978, da war ich noch in keiner Kommandogruppe. Habe sympathisiert, ja, aber eigentlich ist mir Deutschland damals einfach nur auf den Arsch gegangen. Alles war so scheißpolitisch … und Kitzbühel … zwei Stunden von München und du warst in einer anderen Welt … eine skurrile Insel, wo man Lichtjahre von brennenden Kaufhäusern entfernt war … Vietnam? Kann man da Ski fahren? … Allein gegen die Geilheit der Wintertouristen war man nicht gewappnet … Die Idee der freien Liebe, das war für die ganzen Reaktionären eine Büchse der Pandora … Wahrscheinlich haben sie beim Abspritzen jedes Mal ein Kreuz geschlagen, in gleichzeitiger Angst und besinnungsloser Erregung angesichts der allgegenwärtigen immergeilen Touristinnenmösen, diesen schwarzen Löchern, die die Tiroler Moral zu verschlingen drohten …“
    „Friedrich“, beugte sich Schäfer über den Tisch und fasste diesen am Handgelenk, um den offenkundig in die Arme des Wahnsinns Gleitenden in die Realität zurückzuholen; und auch um einen Rausschmiss zu vermeiden, der Schäfer angesichts der anderen Gäste, die sich böse nach ihnen umdrehten, durchaus realistisch erschien.
    „Reißen Sie sich zusammen“, zischte er ihm zu.
    „Schon gut“, wehrte Friedrich ab, nahm die leere Weinflasche in die Hand und stellte sie mit einem Seufzer wieder ab. „Es war keine schlechte Zeit. Party all night long. Da war kein Ecstasy, kein Koks im Spiel. Die Menschen waren glücklich, dort zu sein … Sie wissen nicht, wie das war, Schäfer … das war auch … das war ein Paradies, das haben wir doch gesucht … alles verraten …“, stiegen ihm die Tränen in die Augen.
    Schäfer, der seinen Begleiter am Rande des Zusammenbruchs wähnte, winkte den Kellner heran und verlangte die Rechnung. Obgleich Friedrich die Einladung ausgesprochen hatte, gab Schäfer seine Kreditkarte her, weil er jede weitere Aufregung vermeiden wollte. Nachdem er die Quittung erhalten hatte, half er Friedrich, der in eine Art lethargische Starre verfallen war, aus dem Stuhl und führte ihn am Arm aus dem Lokal. Die frische Luft belebte ihn zumindest so weit, dass er ohne Schäfers Hilfe zum gegenüberliegenden Brunnen gehen konnte, wo sie sich auf den Rand setzten und eine Zigarette anzündeten. Schweigend saßen sie eine Viertelstunde nebeneinander und sahen sich die vorbeiflanierenden Passanten an. Schäfer wartete, bis Friedrich von sich aus etwas sagte.
    „La vida puede ser duro“, meldete er sich mit einem traurigen Schmunzeln zurück.
    „Wie?“
    „Das Leben kann hart sein“, übersetzte Friedrich, und jetzt erst begann Schäfer, den Mann zu begreifen. Die jugendliche Suche nach dem Sinn, nach einer Heimat, das Vakuum in dem bald als oberflächliches Paradies begriffenen Kitzbühel, das als einzige Lösung

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