Schäfers Qualen
ich die Verantwortung … Tempo jetzt … Wiedersehen.“
Er setzte sich auf die Bettkante und starrte durch die Balkontür in die Nacht hinaus. War er verrückt? Ging er völlig in die Irre? Es war ihm egal. Lieber das nächste Jahr Innendienst in Wien als noch einen Toten. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.
Schäfer hatte noch keine Stunde geschlafen, sich ohnehin mehr von einer kurzen traumlosen Ohnmacht in die nächste gewälzt, als ihn das Telefon zu sich rief. Baumgartner gab Entwarnung. Sie hatten Kranz aus dem Schlaf geholt und aufs Revier gebracht. Das mit den kräftigen Beamten sei eine sehr gute Idee gewesen; Kranz habe getobt, geflucht und sie mit den üblichen Drohungen vom Verkehrregeln bis zur vorzeitigen Pensionierung bedacht. Hoffentlich habe Schäfer einen triftigen Grund, ihn einzusperren. Kranz’ Anwalt sei schon auf dem Weg von Innsbruck und sie wisse nicht, wie sie sich ihm gegenüber rechtfertigen soll.
„Gefahr im Verzug“, murmelte Schäfer, dem sein schmerzender Kopf klarmachte, dass er eindeutig zu viel getrunken hatte. „Sein Leben ist bedroht … Er ist auf der Todesliste des Mörders, der schon drei andere angesehene Bürger auf dem Gewissen hat … blablabla … Sie schaffen das schon. Ich schaue, ob ich morgen einen früheren Flug bekomme, und dann regle ich das. Lassen Sie ihn nicht aus … Gute Nacht … Danke.“
Erleichtert ließ sich Schäfer aufs Bett zurückfallen. Gut, dachte er, bis ich wieder zurück bin, kann nichts passieren.
33
Am Morgen wachte er mit heftigen Kopfschmerzen auf. Der Name war wohl das einzig Gute am Wein gewesen. Er stand auf, blieb auf dem Weg zum Bad in den hoteleigenen Frotteeschlappen hängen und wollte seinen Sturz am Fernseher abfangen; der war allerdings nicht stabil genug und krachte mitsamt Schäfer auf den Boden. Er wälzte sich herum und zog sich an der Bettkante hoch. Zittrig und mit schmerzender Hüfte setzte er sich aufs Bett. Sein Ellbogen blutete. Er ging ins Bad, reinigte die Wunde mit Wasser und band sich ein Handtuch um den Arm. Dann öffnete er die Minibar, um sich einen Orangensaft und ein stilles Mineralwasser herauszunehmen. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, rief er den Zimmerservice an und bestellte ein Frühstück. Moment noch, rief er, als der Kellner an die Tür klopfte. Mit hochrotem Kopf hievte er den Fernseher auf den Beistelltisch und hängte ein Handtuch über den Sprung im Bildschirm. Er ließ sich das Frühstückstablett auf den Balkontisch stellen und gab dem Kellner ein großzügiges Trinkgeld. Dann saß er in der Morgensonne, biss gedankenverloren in ein Schinkenbaguette und bemühte sich, seine nächtliche Entscheidung zu rechtfertigen. Es war doch ganz klar. Baumgartner hatte von der Holzpuppe erzählt, mit der Kranz während ihres Gesprächs herumgespielt hatte. Schäfer hatte so eine Figur schon einmal gesehen. Gar nicht so lange her, in der Wohnung einer Wiener Freundin, die das Männchen als Souvenir aus Bolivien mitgebracht hatte; ein alter Fruchtbarkeitsgott, soweit er sich erinnerte. Demnach war es höchstwahrscheinlich Kranz gewesen, der nach Bolivien geflogen war und von dort die Postkarte abgeschickt hatte. Und wenn Kranz in Bolivien war, ist er an der Entführung von Habermann und demzufolge auch an der Ermordung Radners beteiligt gewesen. Und damit das nächste Opfer.
Schäfer trank seine Kaffeetasse leer und zündete sich eine Zigarette an. Nach zwei Zügen lief er ins Bad und schaffte es gerade noch, sich über die Kloschüssel zu beugen. Nachdem er sich den Mund ausgespült und im Spiegel über dem Waschbecken ein schwitzendes und bleiches Gesicht mit grünschwarzen Augenringen gesehen hatte, zwang er sich zu einer kalten Dusche. In ein Badetuch gewickelt, setzte er sich wieder auf den Balkon.
Und wenn nicht? Ohne Radners Leiche hatte er keinen Beweis für seine Theorie. Ohne Beweis durfte er Kranz höchstens zum Kaffee einladen; wenn er nach dieser Aktion überhaupt noch in seine Nähe durfte. Eine Holzpuppe … nichts anderes als ein Souvenir, das in Massen produziert wird, damit möglichst viele Touristen sich eins mit nach Hause nehmen … War es denn so abwegig, dass Kranz in Bolivien ganz unschuldig Urlaub gemacht hatte? … oder dass ein Freund ihm die Figur mitgebracht hatte? … Haha, Kranz, so einen Langen hättest du auch gern, gell … der Altbürgermeister würde nicht einmal einen Anwalt brauchen. Es würde zu gar keiner Voruntersuchung kommen. Und wenn, dann gegen
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