Schäfers Qualen
einheimischer Autohändler, Selbstmord durch einen Sturz in die Tiefe beging, nachdem ihm telefonisch mit der Ermordung seiner Familie gedroht worden war.
Die folgenden Ermittlungen konzentrierten sich nun vor allem auf ein Thema: die Vergangenheit der Opfer in der Kitzbüheler Skischule. Während ihrer gemeinsamen Zeit als Skilehrer sollen Steiner, Krassnitzer und Gasser gemeinsam mit ihrem späteren Henker Sigmund Kranz verschiedene Verbrechen geplant haben, um sich finanziell zu bereichern. Welcher Art diese kriminellen Taten waren – von inoffiziellen Quellen werden Bankraub und sogar Entführung genannt –, ist noch Gegenstand der Ermittlungen. Wahrscheinlich ist, dass Kranz sich seiner damaligen Komplizen entledigen wollte, um an eine eventuell noch versteckte Beute zu kommen beziehungsweise um die Mitwisser für alle Zeit mundtot zu machen.
Nicht zum Plan des Mörders gehörte freilich der junge Mann, der das zweite Opfer gefunden hat. Denn nach dem jetzigen Wissensstand der Polizei hat der Student und Ferialarbeiter Wolfgang Senn bei seinem Eintreffen auf der Baustelle Walter Krassnitzer entgegen seiner Aussage lebend vorgefunden, worauf dieser Senn den Namen des Mörders verraten haben dürfte. Mit der Entscheidung, sein Wissen nicht der Polizei anzuvertrauen, sondern den Mörder zu erpressen, dürfte der Student sein eigenes Todesurteil unterschrieben haben. Am Wochenende wurde er erschlagen auf dem Kitzbüheler Friedhof aufgefunden. Wie die ermittelnden Beamten Sigmund Kranz schließlich auf die Spur gekommen sind, darüber kann zurzeit nur spekuliert werden. Am wahrscheinlichsten ist es, dass der Täter bei seinem Treffen mit Senn, dessen Ermordung er nicht so penibel geplant haben dürfte wie die vorhergegangenen Verbrechen, Spuren hinterlassen hat, die Dienstag in den frühen Morgenstunden zu seiner Verhaftung führten.
Major Schäfer: Held oder Narr?
So klar die Täterschaft Kranz’ scheint, so undurchsichtig bleibt allerdings die Rolle von Major Schäfer, der bis zur Festnahme des Mörders die Ermittlungen leitete und dann umgehend in den Urlaub geschickt wurde – was in diesem Stadium einer Suspendierung gleichkommt. Eine Quelle, die anonym bleiben will, nannte vor allem Schäfers Vorgehen in Bezug auf einen vor fast zwanzig Jahren verübten Selbstmord und einen mehr als spekulativen Verdacht über frühere Kontakte der Opfer zu RAF-Kreisen als Gründe. Eine falsche Fährte, der ein anderer Ermittler nicht gefolgt wäre und damit zumindest das Leben des Studenten Senn hätte retten können? Major Schäfer selbst äußerte sich zu seinem Vorgehen bisher nur vage: Er sei erleichtert, dass der Mörder gefasst und der Fall so gut wie abgeschlossen sei. Möglicherweise hätte er sich zu sehr auf bestimmte Details konzentriert und einem Nebenereignis zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Laut besagter anonymer Quelle könnten damit Schäfers eigenmächtige Ermittlungen auf dem Grundstück eines renommierten Anwalts sowie eine Romreise gemeint sein, deren Hintergrund immer noch unklar ist. Ob der Beamte der Wiener Kriminalpolizei deshalb mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen hat, ist offen. Nach zwei Urlaubstagen bei seiner Familie wird der Major zurück nach Wien reisen, so unser Informant. Und auch Kitzbühel, die malerische Stadt im Herzen der Alpen, darf nun hoffentlich zur Ruhe kommen.
Schäfer legte die Zeitung beiseite und lächelte. So in etwa hatte er sich das vorgestellt – auch wenn es der Bericht erst in die Abendausgabe geschafft hatte, und auch wenn ihm die Zwischenüberschrift „Held oder Narr?“ etwas respektlos erschien. Doch das war wohl nur Unselds Revanche, weil er abermals ein gemeinsames Frühstück hatte sausen lassen und sich diesmal nicht auf dienstliche Verpflichtungen hinausreden konnte. Er hatte keine Lust gehabt. Er wollte allein sein, ein paar Dinge erledigen und sich in Ruhe durch den Kopf gehen lassen, was in den folgenden Tagen oder sogar Stunden passieren könnte. Zu Mittag hatte er einen Spaziergang zum See gemacht und in einem kleinen Restaurant einen griechischen Salat gegessen. Während er auf der Terrasse saß und die ungenießbaren Oliven ein paar Enten zuwarf, rief ihn Baumgartner an. Der ballistische Bericht war eingetroffen: Obernauer hatte bei seinem Selbstmord ziemlich sicher die gleiche Waffe verwendet, die auch beim Bankraub in Aschau abgefeuert worden war. Hundertprozentige Sicherheit gäbe es natürliche keine – doch angesichts der Tatsache, dass
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