Schäfers Qualen
die Heckler & Koch P7 zur fraglichen Zeit in Österreich kaum verbreitet, in Deutschland hingegen – und vor allem bei der RAF – eine beliebte Waffe gewesen war, durfte man wohl den Schluss ziehen, dass Obernauer mit dem Bankraub in Verbindung gestanden hatte. Mit dem Bankraub nicht, dachte Schäfer, nachdem er aufgelegt hatte, nur mit den Bankräubern. Er rief Kern an, fragte ihn, wie es seiner Nase ginge, und ließ sich dann Adresse und Telefonnummer der damaligen Bankangestellten geben. Beide wohnten in Kirchberg. Wurm arbeitete bei einer anderen Bank im Ortszentrum, Sonnbichler war mittlerweile in Pension und wohnte in einem Eigentumshaus am Südhang des Gaisbergs. Schäfer kannte die Gegend und hatte eine Vorstellung von den Grundstückspreisen dort – von seinem Gehalt allein hätte sich Sonnbichler das Haus bestimmt nicht leisten können. Was sollte er jetzt tun … anrufen und um ein Gespräch bitten? Die Entscheidung trafen seine Beine, die an der nächsten Wegkreuzung in Richtung Kirchberg gingen.
Was er Wurm und Sonnbichler fragen wollte, war ihm selbst noch nicht klar. Seit dem Überfall waren mehr als zwanzig Jahre vergangen, die Täter waren vermummt gewesen; und mit welchen der vier ehrenwerten Kitzbüheler Radner die Bank überfallen hatte, war nicht mehr wirklich relevant, zumal sie allesamt tot waren – nun, bei Radner war sich bislang nur Schäfer sicher. Doch irgendetwas stimmte nicht. Der grundlose Schuss auf Sonnbichler; die Summe, die erbeutet worden war: über zehn Millionen Schilling – das war wesentlich mehr als eine Dorfbank normalerweise im Tresor lagerte. Die Flucht: In die Aschau führte nur eine Straße, die dort endete. Dementsprechend mussten die Täter denselben Rückweg genommen haben. Mehr als zehn Kilometer. Entweder in einem Höllentempo oder sie hatten sich unterwegs ein Versteck gesucht – andernfalls wären sie der Polizei in die Arme gelaufen. Moment. Er hatte vergessen, wann die beiden Bankangestellten gefunden worden waren. Wurm hatte den Alarm erst nachher auslösen können. Trotzdem war es zu perfekt gelaufen. Laut Friedrich war Radner damals noch nicht lang bei der RAF gewesen, also bestimmt kein Profi. Ein unbekannter Dritter? Ein weiterer RAF-Mann? Schäfer setzte sich auf eine Bank neben der Kirchberger Ache und zündete sich eine Zigarette an. Er fühlte sich seltsam. Unrund. Aus dem Spiel genommen und doch mittendrin. Woher diese Wut? Weil er anfing, sich mit Radner zu solidarisieren und dessen Ermordung nicht unaufgeklärt lassen wollte? Nun, dessen Ansichten hatte Schäfer in seiner Jugend tatsächlich für richtig gehalten. Und die Kitzbüheler Geldelite aufrichtig gehasst. Ihre Hochnäsigkeit, die durch den provinziellen Mief, der ihnen anhaftete, noch unerträglicher wurde. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie Gesetze umgingen, sich auf Kosten der Natur und ihrer nicht so skrupellosen Mitmenschen bereicherten. Hatten sie denn etwas anderes verdient? In Wahrheit müsste er dem Mörder helfen, alle dranzukriegen, die Radner umgebracht hatten. Das wäre Gerechtigkeit … Schluss jetzt, ohrfeigte er sich selbst, stand auf und ging weiter.
Eine Viertelstunde später betrat er die Bank, in der Irene Wurm arbeitete. Das Foto in der Akte hatte eine zierliche, unscheinbare Frau mit hellblondem Haar gezeigt. An den Schaltern sah Schäfer niemanden, der auch nur entfernte Ähnlichkeit mit dem alten Bild gehabt hätte. Er ging auf einen jungen Mann zu, war schon im Begriff, seinen Ausweis zu ziehen, überlegte es sich anders und fragte ohne weitere Begründung nach Irene Wurm. Der Schalterbeamte sah Schäfer einen Moment an, als wollte er dessen Absichten einschätzen, und griff dann zum Telefon. Keine Minute später schob sich im hinteren Teil der Bank eine Schiebetür aus Milchglas auf und eine Frau kam heraus. Sie blickte zu ihrem Kollegen, der mit einer Kopfbewegung auf Schäfer deutete.
„Grüß Gott. Womit kann ich Ihnen helfen?“
„Frau Wurm?“, fragte Schäfer und erhielt ein Nicken als Antwort, „ich bin Major Schäfer von der Kriminalpolizei in Wien. Das kommt für Sie jetzt sicher überraschend, aber ich müsste Ihnen ein paar Fragen zu dem Bankraub in der Aschau stellen.“
„Jetzt gleich?“, fragte Wurm etwas ungehalten.
„Natürlich nicht, wann haben Sie denn Feierabend?“, versuchte Schäfer sie milde zu stimmen.
„In einer halben Stunde; aber davor möchte ich bitte Ihren Ausweis sehen.“
„Sicher“, sagte Schäfer und griff
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