Schäfers Qualen
Tisch.
„Willst du dich zu mir setzen?“, fragte Schäfer, der auf der Bank Platz genommen hatte.
Ohne zu zögern, kletterte Katharina auf die Bank, setzte sich und nahm mit beiden Händen ihr Saftglas.
„Eine echte Prinzessin, oder?“, sagte Marc, der Schäfers liebevollen Blick bemerkt hatte.
„Ja.“ Schäfer strich der Kleinen eine Haarsträhne aus der Stirn.
„Ist der Fall eigentlich jetzt abgeschlossen?“
Schäfer überlegte, was er Marias Mann anvertrauen wollte. „So gut wie … zumindest, was die vier Morde betrifft. Jetzt geht es noch darum, was die drei früher gemeinsam getan haben … wo genau das Motiv begründet ist, wer noch verwickelt sein könnte … viel Routinekram.“
„Das heißt, du bist noch eine Zeitlang hier … in Kitzbühel?“
„Nein. Offiziell bin ich beurlaubt. Ich gehe noch zwei Tage wandern, dann fahre ich zurück nach Wien. Ich brauche mal wieder meine eigene Wohnung … Abstand von hier.“
„Das verstehe ich. Ist ja auch nicht einfach, mit solchen Verbrechen zu tun zu haben.“
„Das auch, ja.“ Schäfer schaute fragend Katharina an, die an seinem Jackettärmel zupfte.
„Wenn ich groß bin, werde ich auch Polizist“, sagte sie stolz.
„Na, seit wann denn das?“, fragte ihr Vater lachend, bekam jedoch keine Antwort.
„Stört es euch, wenn ich rauche?“, fragte Schäfer, dessen Nervosität wie in Wellen über ihn kam.
„Nein, sicher nicht, warte … ich hol dir einen Aschenbecher“, sagte Marc und stand auf.
„Weißt du denn, was ein Polizist macht?“, wandte sich Schäfer an Katharina.
Sie setzte sich gerade hin, schloss die Augen und zuckte mit den Lidern, als würde sie angestrengt nachdenken.
„Du passt auf, dass uns nichts passiert.“
„Das stimmt.“ Schäfer musste lachen. „Weißt du, das mache ich wirklich gern: aufpassen, dass euch nichts passiert“, und er konnte nicht umhin, ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.
Inzwischen war Marc zurückgekommen und stellte einen Aschenbecher auf den Tisch, dessen Werbeaufdruck Schäfer vermuten ließ, dass Maria ihn in einem französischen Bistro entwendet hatte. Er zündete sich eine Zigarette an, stand auf und ging ein paar Schritte vom Tisch weg, weil er nicht wusste, wie sensibel Marc auf Raucher in Gegenwart seiner Tochter reagierte. Maria kam aus der Tür. Sie trug ein Tablett mit Tellern und Gläsern, unter dessen Gewicht sich die Sehnen ihrer Unterarme spannten.
Schäfer und Marc traten gleichzeitig auf sie zu, um ihr zu helfen.
„Na, wenn ich einmal zwei Kavaliere dahabe, dann kann ja eigentlich ich mich hinsetzen“, meinte sie und nahm zu beider Überraschung neben ihrer Tochter Platz. Die beiden Männer standen für einen Moment unschlüssig da, dann setzen sie sich auf Marcs Initiative in Bewegung und gingen in die Küche, um Essen und Getränke zu holen.
„Wir haben nur Pasta gemacht“, sagte Marc, während er Schäfer zwei Weinflaschen in die Hände drückte, „mehr ist sich in der kurzen Zeit leider nicht ausgegangen.“
„Tut mir leid, dass ich mich so überfallsartig eingeladen habe … aber nach dem ganzen Chaos war mir einfach einmal nach normaler Gesellschaft.“
„Maria hat mir alles erzählt … also alles, was sie mir erzählen wollte.“ Marc lächelte und schaute Schäfer in die Augen. „Ich bin froh, dass du zu uns kommst.“
„Danke … Wo ist denn der Korkenzieher?“
Während des Essens gab großteils Katharina die Gesprächsthemen vor, indem sie Schäfer wie aufgezogen von allen für sie bedeutenden Erlebnissen der jüngsten Vergangenheit berichtete: eine Forelle im Bach, der Besuch der Großeltern, das Kirschenpflücken. Weil ihr die Nudeln dabei entweder von der Gabel fielen oder dort kalt wurden, ermahnte Maria ihre Tochter immer wieder dazu, weniger zu reden und mehr zu essen; was jeweils einen Bissen lang zum gewünschten Ergebnis führte. Schäfer konnte sich in seinem Zustand nichts Besseres vorstellen als dieses kleine Mädchen, das mit ihren teils zusammenhanglosen, teils gänzlich unverständlichen Geschichten seine Konzentration derart in Anspruch nahm, dass für andere Gedanken kein Platz war. Und obwohl er ihren aufgekratzten Zustand – wie jeder Erwachsene, der sich einigermaßen mit Kindern auskennt – darauf zurückführen hätte können, dass sie vor dem Einschlafen noch einen kurzen manischen Höhenflug erlebte, redete Schäfer sich ein, dass sie seinetwegen so fröhlich war. Maria schien sich ebenso über das gute
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