Schäfers Qualen
versuchte zu bestimmen, was er den beiden überhaupt erzählen wollte. Wie weit das, was er in Gedanken schon durchgegangen war, sich ändern würde, wenn andere davon erfuhren. Andererseits: Er hatte den Stein ohnehin schon ins Rollen gebracht.
„Vielleicht war ja noch jemand beteiligt … also, jetzt unter uns gesagt.“
„Wer denn?“
„Das kann ich nicht sagen.“
„Komm schon, Johannes, ich sag nichts weiter“, beharrte Marc, als ob er von einer Trivial-Pursuit-Frage sprechen würde. Schäfer sah es ihm nach. Marc hatte weder die Toten gesehen noch die Frauen, die zurückblieben. Und war er selbst nicht auch in einem Spiel? Unseld: zwei Züge vor, Friedrich: eine Runde aussetzen, Kranz: Arrest.
„1980 hat es in der Aschau einen Banküberfall gegeben, bei dem der Filialleiter mit derselben Waffe angeschossen worden ist, die zehn Jahre später neben dem toten Obernauer gefunden wurde … und bei diesem Überfall ist irgendwas faul … glaube ich zumindest.“
„Entschuldigung, wenn ich so unhöflich bin“, sagte Maria und stand spontan auf, „aber ich schlafe schon fast ein.“ Sie schob den Tisch ein Stück weg, küsste ihren Mann auf den Mund, drückte Schäfer einen Kuss auf die Wange und ging Richtung Wohnzimmer.
„Marc“, drehte sie sich noch einmal um, „richtest du Johannes die Couch? Nur falls es später wird … nicht, dass ihm noch was passiert auf dem Heimweg.“
Die beiden Männer schauten sie an und nickten langsam wie Pappfiguren, weil wohl keiner von ihnen schon ans Schlafengehen geschweige denn an den Zustand gedacht hatte, in dem sie sich in ein, zwei Stunden befinden könnten.
„Mach ich … gute Nacht, träum schön.“
„Die unbestreitbare Weisheit der Frauen“, sagte Schäfer, nachdem Maria im Haus verschwunden war, füllte ihre beiden Rotweingläser bis zum Rand und hielt seins Marc zum Anstoßen hin.
„Ich würde eher Erfahrung mit dem wiederholt törichten Verhalten der Männer dazu sagen.“ Marc hob ebenfalls sein Glas.
„Der Filialleiter der Bank“, fuhr Schäfer fort, „ich habe mich gefragt, warum sie ihn völlig grundlos angeschossen haben. Noch dazu offensichtlich gezielt …“
„Was jetzt: grundlos oder gezielt?“
„Gezielt, weil ein Schuss in den Oberkörper leicht tödlich sein kann.“
„Glück?“
„Möglich. Oder der Sonnbichler … Ich rede zu viel … ab jetzt kein Wein mehr!“
„Wer ist Sonnbichler?“
„Der Filialleiter. Ich meine: eine Bank in der Aschau, dann diese Summe, dann mindestens drei Täter mit einer professionellen Fluchtmethode – das geht nicht zusammen.“
„Und du glaubst, dass dieser Sonnbichler den Bankräubern geholfen hat und sich quasi als Alibi anschießen hat lassen.“
„Wäre eine Möglichkeit.“
Schäfer stand auf und ging zum anderen Ende des Gartens, wo er gegen die Hecke pisste. Kurzzeitig hatte ihn das Beisammensein mit den dreien entspannt … jetzt hatte er plötzlich Lust, etwas in Trümmer zu schlagen, Flaschen, Autos, Schädel, er atmete tief durch, ins Herz hinein, zwang sich, ruhig bis zehn zu zählen, und ging zu Marc zurück. Der auf seinem Stuhl eingeschlafen war und sich den restlichen Rotwein aus seinem Glas über die Hose geschüttet hatte. Schäfer nahm ihm das Glas aus der Hand und trug es zusammen mit den anderen in die Küche. Er füllte ein großes Glas mit Leitungswasser und setzte sich für einen Moment an den kleinen Küchentisch.
Sollte er Maria wecken? Ihr konnte er sich doch anvertrauen … sie würde es niemandem erzählen … Was, wenn ihm etwas passierte … Danninger wusste Bescheid, einigermaßen … doch die anderen, seine Kollegen … alle wiegten sich in Sicherheit … der Fall abgeschlossen … er ein Spinner … in seinem eigenem Heimatort … so wollte er nicht dastehen … er kannte die Wahrheit. Er machte ein paar Schritte die Treppe hinauf, blieb stehen und wurde sich der Unsinnigkeit seines Verhaltens bewusst. Er in ihrem Schlafzimmer … egal, was er erklärte, er würde ihnen nie wieder unter die Augen treten können … aber vielleicht war es ja auch das, was er wollte … ein endgültiger Abschied.
Er ging ins Wohnzimmer, wo Maria ihm ein Leintuch und eine Decke auf ein Fauteuil gelegt hatte, rückte den Beistelltisch weg und klappte die Couch aus. Sein Blick fiel auf die DVD-Sammlung, die im untersten Regal der Bücherwand aufgereiht war. Er nahm einen Stapel heraus und sah ihn durch: ein erstaunliches Potpourri aus Zeichentrickfilmen, indischen
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