Schäfers Qualen
Schnulzen, Hollywood-Blockbustern, Klassikern und wenig bekannten Kunstfilmen. Schäfer legte „Chihiros Reise ins Zauberland“ auf den Beistelltisch und räumte die restlichen DVDs wieder ins Regal zurück. Dann ging er in den Garten hinaus und weckte Marc.
„He, mon ami, Zeit fürs Bett“, rüttelte er ihn sanft.
Marc öffnete die Augen, stand auf, rückte den Tisch weg und bewegte sich ins Haus wie ein Roboter, dem man einen Befehl erteilt hatte. Nun, Schäfer wäre zu einem weiteren Glas Wein durchaus noch zu überreden gewesen. So ging er allein in den Garten hinaus, setzte sich in die Reifenschaukel und rauchte eine letzte Zigarette. Bevor er aufstand, um ins Haus zu gehen, nahm er sein Telefon heraus und schaute auf die Uhr. Dann ging er zum Tisch zurück, blies die Kerze aus, trat ins Wohnzimmer und schloss die Tür hinter sich. Er legte die DVD ein, nahm die Fernbedienung und streckte sich auf der Couch aus.
Wie viel er von „Chihiros Reise ins Zauberland“ gesehen hatte, wusste er am nächsten Tag nicht mehr. Eine Viertelstunde vielleicht; oder eine halbe. Dann musste er eingenickt sein. Und – wie er später mit seinen Kollegen rekonstruierte – etwa eine Stunde geschlafen haben; bevor ihn ein lauter Knall weckte, der ein paar hundert weitere Kitzbüheler aus dem Schlaf gerissen haben dürfte. Doch im Vergleich zu diesen war Schäfer nur mäßig aufgeregt. Er stand im Garten und sah gelassen auf den Feuerschein am Hang gegenüber, der alle Anwesen rundum in ein oranges Licht tauchte. Er folgte den in den Himmel schießenden Funken und bemerkte erst nach ein paar Minuten, dass Maria, Marc und Katharina ebenfalls im Garten standen und erschrocken auf die Flammen starrten. Sirenen gellten durch die Nacht, Blaulichter tanzten aus der Stadt herauf, aus den Nachbargärten rundum waren Stimmen zu hören. Schäfer warf seine Zigarette ins Gras, trat sie aus und machte sich wieder auf den Weg ins Wohnzimmer. Er legte sich auf die Couch und zog die Decke bis zum Kinn hoch.
„Such, Cerberus, such“, murmelte er, lächelte zufrieden und schloss die Augen.
39
„Ihre Freunde haben Ihr Alibi bestätigt.“ Bruckner setzte sich Schäfer gegenüber. „Tut mir leid, dass ich Sie wie einen Kriminellen habe herbringen lassen. Als wir den Reinisch über die Explosion informiert haben, ist ihm wohl eine Sicherung herausgesprungen.“
„Na ja, ganz sicher waren Sie sich wohl auch nicht.“ Schäfer schaute seinen Kollegen prüfend an.
„Im ersten Moment: nein. Sie versteifen sich auf die Geschichte mit Obernauer und diesem Knochenfund, der Reinisch will den Akt schließen, zwei Tage später fliegt die Hütte von dem Rechtsanwalt in die Luft. Was hätten Sie an meiner Stelle getan?“
„Wahrscheinlich genau dasselbe“, sagte Schäfer und stand auf, um sich aus dem Besprechungsraum noch eine Tasse Kaffee zu holen. „Aber danach“, fuhr er fort, als er wieder bei Bruckner war, „danach würde ich mich fragen, wer denn wirklich ein Interesse daran hat, das Haus niederzubrennen. Vielleicht jemand, dem es nicht passt, dass der Fall als abgeschlossen erklärt wird. Der will, dass wir dort graben.“
„Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen“, seufzte Bruckner, „die Verantwortlichen sind zur Rechenschaft gezogen worden, aber das reicht dem Mörder nicht. Er will uns zeigen, warum er es getan hat. Nur dass wir damit zugeben müssten, dass Kranz nicht unser Mann ist.“
„Das fällt dem Reinisch auf den Kopf“, erwiderte Schäfer gelassen, „und ich glaube nicht, dass er Ihnen wirklich leidtut.“
Bruckner nahm seine Zigaretten vom Schreibtisch, stand auf und ging zum Fenster. Nachdem er vergeblich nach einem Fenstergriff oder irgendeinem anderen verborgenen Öffnungsmechanismus gesucht hatte, murmelte er etwas vor sich hin und drehte sich dann zu Schäfer um.
„Gehen Sie mit mir auf den Parkplatz eine rauchen?“
„Wieso gehen Sie nicht in den Besprechungsraum, da rauchen die anderen auch.“
„Öffentliches Gebäude … ist eine Frage von Prinzipien.“
Schäfer stand auf und folgte seinem Kollegen auf den Parkplatz hinaus, wo ihm dieser eine Zigarette und Feuer gab.
„Weiß man schon was Genaueres über die Brandursache?“
„Die untersuchen noch … höchstwahrscheinlich Gas.“
„Was, Gas?“
„Gasherd aufdrehen, dafür sorgen, dass nach einer Stunde irgendwo ein Funke fliegt, und bumm … und wenn der Besitzer nicht seit Montag in Wien wäre, könnte man sogar davon ausgehen, dass
Weitere Kostenlose Bücher