Schärfentiefe
sollen“, fuhr Ada beflissen fort. „Ich sage nur 400 geladene Gäste, ein Riesenbudget …“, wobei sie das „i“ von Riesenbudget extrem in die Länge zog. „Was meinst du, werden sie uns jetzt den Auftrag stornieren?“
Santo zupfte ein Haar von seinem maßgeschneiderten Dreiteiler. Heute trug er einen dunkelgrauen mit rosa Hemd und rosa Krawatte. Alles vom Feinsten. Er hatte von seinen italienischen Vorfahren nicht nur das Aussehen geerbt, sondern wohl auch den ausgesprochen guten Geschmack bei der Wahl seiner Kleidung.
Er rollte das Haar zwischen seinen Fingern und betrachtete es nachdenklich.
Ada sah ihm dabei mit hochgezogenen Augenbrauen über die Ränder ihrer viereckigen Brille hinweg zu.
„So wie ich das sehe, werden wir dem ehrwürdigen Herrn posthum eine Ehrung zuteil werden lassen. Mehr noch, wir werden die zuständigen Sponsoren, allen voran unseren Hauptsponsor Comm4Syst, überzeugen, dass wir unbedingt noch eine Biografie schreiben müssen, sozusagen einen Nachruf auf den international anerkannten Fotografen mit Wiener Wurzeln. Wenn der werte Gefeierte schon nicht persönlich an der Präsentation seiner Ausstellung teilnehmen kann, weil er aufgrund eines tödlichen Unfalls verhindert ist, sollte er zumindest in Buchform anwesend sein. Ich werde das gleich mit den zuständigen Herren besprechen.“
Er ließ das Haar fallen.
„Sonst noch etwas?“
Ada blieb kurz der Mund offen stehen. Dann rückte sie ihre Brille zurecht, räusperte sich, raffte die Zeitung zusammen und ging in Richtung Tür.
„Dann werde ich mal sehen, wen von unseren Leuten ich auf die Biografie ansetzen werde. Im Moment sind alle voll im Einsatz.“
Daran zu zweifeln, dass Santo seine Vorstellung nicht durchsetzen könnte, hatte sie sich in dem einen Jahr, das sie mittlerweile in der Agentur arbeitete, abgewöhnt.
„Ruf mal bei Paula an. Der fällt sicher schon die Decke auf den Kopf!“, schlug er vor.
Ada blieb stehen und sah ihn zweifelnd an: „Paula Ender? Aber die macht doch diese Schreibseminare.“
Karl Santo, der mittlerweile die Hände vor der Brust gefaltet hatte, sah sie mit seinen dunklen Augen bohrend an.
„Natürlich meine ich diese Paula. Die wird sich sicher freuen, wenn sie endlich wieder was Ordentliches zu tun bekommt.“
„Okay, ich ruf sie gleich an“, sagte Ada und verließ rasch das Zimmer. Widerstand war zwecklos, wenn Santo sich etwas einbildete. Die beste Strategie war Augen zu und durch.
Santo schien es noch immer nicht verdaut zu haben, dass Paula sein lukratives Jobangebot, die Öffentlichkeitsarbeit für eine internationale Modekette zu machen, ausgeschlagen und sich stattdessen selbständig gemacht hatte.
2.
„Nein, es ist kein Problem, das Seminar auf Ende Jänner zu verlegen“, versicherte Paula Ender. „Melden Sie sich nach den Weihnachtsfeiertagen bei mir, und dann machen wir einen neuen Termin aus.“
Das war bereits das zweite Mal, dass sie ein Seminar ins nächste Jahr verschieben musste, weil die Teilnehmer das zusätzliche Arbeitspensum vor Weihnachten nicht berücksichtigt hatten. Ob die beiden anderen Seminare den Arbeitsdruck, der in den Firmen in der Vorweihnachtszeit herrschte, überleben würden?
„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, versuchte sie sich positiv zu stimmen, denn sie hatte fix mit den Einnahmen gerechnet. Aber das war das Los der Selbständigen. Manchmal lief alles wie am Schnürchen, und die Honorare flossen, dann schleppte es sich wieder dahin. Bei Paula kam Letzteres häufiger vor.
Rückblickend durfte sie sich allerdings nicht beklagen. Vor fast genau einem Jahr hatte sie ihren Job in einer großen Wiener Werbeagentur gekündigt. Zuerst wollte sie die freie Zeit nutzen, um einen Roman zu schreiben. Aber nach drei Monaten, in denen sie gerade mal ein Kapitel geschafft hatte, das ihr zudem nicht gefiel, nahm sie das Angebot einer Juristenkanzlei an, interne Schreib- und Redeseminare abzuhalten. Eines kam zum anderen und inzwischen hatte sie mehrere Stammkunden, darunter einige große Firmen, die regelmäßig ihre Dienste in Anspruch nahmen. Die Schlagworte soziale Kompetenz, richtiges Kommunizieren und Konfliktbewältigung waren gerade in aller Munde. Die Erkenntnis, dass Mitarbeiter das Erfolgspotenzial einer Firma sind und Mobbing kein erstrebenswerter Zustand ist, hatte viele Personalabteilungen erreicht und ließ diese nach und nach aktiv werden, damit alle lieb undnett miteinander umgingen und mit Freuden ihre Arbeit machten.
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