Schärfentiefe
möchte einfach einmal sehen, wie du lebst, welche Farbe deine Bettwäsche hat, welche Bücher in deinem Regal stehen, deinen Kleiderschrank beäugen, einfach dein Gast sein.“
„Meine Bettwäsche ist blau, was in meinen Bücherregalen steht, weißt du – Schnitzler, Nietzsche, Hofmannsthal –, und was in meinem Kleiderschrank hängt, solltest du mittlerweile kennen.“
„Trotzdem.“
„Okay, okay. Das nächste Mal, wenn mein Mitbewohner verreist ist, lade ich dich ein. Versprochen!“
„Wann?“
„Irgendwann.“
„Wann?“
„Okay, bald.“
Zehn
Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Kurt beschloss Paula, die Einladung ihrer Mutter anzunehmen. Clea hatte Zeit und Lust mitzukommen und so tuckerten sie mit dem Gefährt ihrer Freundin am frühen Nachmittag nach Krems. Im Frühjahr, während der Marillenblüte, die jedes Jahr Ende März einsetzte und bis Anfang April dauerte, fuhr Paula gerne mit dem Fahrrad das Donauufer entlang und genoss die idyllische Landschaft, die durch die blühenden Marillenbäume weiß gefärbt war, vorbei an Dürnstein, Weißenkirchen und Spitz. Nun war es eine dünne Schneedecke, die alles weiß umhüllte.
Als sie ihre Mutter angerufen hatte, um ihren Besuch anzukündigen, versprach Eleonora, sofort Frieda Dietl zu kontaktieren. Kurz danach gab sie Paula Bescheid, dass die junge Frau bei der Lesung anwesend sein würde und sich schon auf das Gespräch mit Paula freue.
Die praktisch denkende Clea fand es gut, dass Paula Kontakte zu anderen Autoren knüpfte und mit ihnen über Sinn und Unsinn des Schreibens sprach. „Es ist wichtig, dass man Menschen kennt, denen es ähnlich ergeht und die zumindest nachvollziehen können, was in einem Schriftsteller vorgeht.“ Sie war begeistert, als Paula das erste Kapitel ihres Romans geschrieben hatte und fand es auch bei Weitem nicht so schlecht wie die selbstkritische Freundin, die rasch erkannte, dass Schreiben eine einsame, mühsame und schlecht bezahlte Tätigkeit war, sofern man überhaupt das Glück hatte, einen Verlag zu finden, der die geistigen Auswüchse publizierte. Von Romantik à la Hemingway, wie sie von manchen Medien kolportiert wurde, war das alles weit entfernt. Dennoch, Schreiben war wie eine Sucht.
„Erkläre mal jemandem, wie es ist Autor zu sein. Hunderte Stunden in einem Kämmerlein zu sitzen, wenn draußen die Sonne scheint. Dann kommt unweigerlich die Frage: Wie viel verdienst du eigentlich damit? Und du musst antworten, dass du eigentlich noch nicht einmal einen Verlag für dein aktuelles Buchprojekt hast. Dass möglicherweise die ganze Arbeit in einer Schublade liegen bleiben wird. Dann erntest du diesen mitleidig-zweifelnden Blick, als ob du nicht ganz richtig im Kopf wärst. Und plötzlich fühlst du dich auch so. Einfach nicht ganz bei Trost. Warum tust du dir das an? Aber was soll’s? Du hast ohnehin keine andere Wahl. Wenn du schreiben musst, dann helfen dir keine vernünftigen Argumente, dir doch eine lukrativere Tätigkeit zu suchen. Und ehrlich gesagt, nichts anderes macht so high.“ Das bestätigte auch die Krimiautorin, mit der sie nach der Lesung plauderten. Dann schrieb sie eine persönliche Widmung in Paulas Buch.
Jemand tippte auf ihre Schulter. Als sie sich umdrehte, stand eine junge Frau vor ihr. In einem fliederfarbenen Strickkleid, das sie noch blasser wirken ließ, als sie ohnehin schon war. Ihre aschblonden Haare waren zu einem asymmetrischen Bubikopf geschnitten und unter den langen Stirnfransen blickte sie Paula mit großen braunen Augen an.
„Hallo, ich bin Frieda Dietl. Ihre Mutter hat mir gesagt, dass Sie eine Biografie über Stefan Urban schreiben.“
Sie schüttelten sich die Hände. Die ihre lag weich und angenehm in jener von Paula.
„Ja, sie hat die Angewohnheit, ihre Mitmenschen sehr direkt anzusprechen“, sagte Paula und hoffte, dass ihre Mutter nicht wieder ins Fettnäpfchen getreten war.
„Ich habe mich sehr gefreut, Ihre Mutter kennenzulernen, sie ist so ein fröhlicher Mensch. Vielleicht hat sie Ihnen erzählt, dass ich einen kleinen Sohn habe und nicht mehr so viel unternehmen kann. Da freut man sich immer über netten Besuch.“
So hatte Paula das noch nie gesehen. Sie liebte ihre Mutter, aber die Peinlichkeiten, die sie ihr mit ihren verbalen Ausrutschern schon eingebrockt hatte, könnten Bände füllen. Eine der unangenehmsten Situationen ereignete sich, als Eleonora auf einer Party mit einer Dame ins Gespräch kam, sich dabei über die Unfähigkeit
Weitere Kostenlose Bücher