Schärfentiefe
eine Seniorenresidenz in Wien.
Sie konnte noch immer nicht fassen, dass diese Recherche so einfach gelaufen war. Sie hatte sich schon auf einen Wochenendausflugnach Mistelbach eingestellt, um von Kreins letztem Aufenthaltsort aus seinem Verbleib nachzuspüren, hatte sich mit Wirtsleuten und Nachbarn sprechen sehen, die sie vielleicht auf eine richtige Spur gebracht hätten oder auch nicht. Und ganz sicher hätte sie beim Polizeikommando nachgefragt.
Aber nun hielt sie mir nichts dir nichts die aktuellen Daten in der Hand und das mit einem Aufwand von nicht einmal zwei Stunden. Das waren die Vorteile im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung. Das Einzige, was sie noch nicht wusste, war, ob dieser Manuel Krein überhaupt der Gesuchte war.
Und: Sollte sie noch vor Weihnachten oder erst hinterher herausfinden, ob er der Richtige war oder doch nur ein Namensvetter? Sie brauchte nur zwei Sekunden, um sich zu entscheiden.
Geduld war für Paula seit jeher ein Fremdwort, deshalb wählte sie umgehend die Nummer der Seniorenresidenz. Sie war auf die schlimmsten Nachrichten gefasst. Wenn etwas so glatt lief, war sicher irgendwo ein Hund begraben. Aber die Glückssträhne hielt an.
Ein Herr Manuel Krein wohne bei ihnen, bestätigte die Rezeptionistin. Er sei im Moment in einer Behandlung, aber sicher gegen fünfzehn Uhr erreichbar.
Paula entschied, dass sie Krein persönlich aufsuchen würde. Einerseits, weil sie so auf den ersten Blick wüsste, ob es der Mann vom Foto wäre. Andererseits, weil sie Angst hatte, dass er sie abwimmeln würde, wenn sie ihm telefonisch von den Urban-Recherchen erzählte.
Paula machte sich auf den Weg, die Fotos von Blesch in der Tasche. Auch das von der blonden Frau. Vielleicht konnte ihr Manuel Krein auf die Sprünge helfen, falls er der damalige Bekannte von Urban war.
Während Paula auf die Straßenbahn wartete, beschlich sie wieder jenes unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Siesah sich um, doch da waren nur jede Menge anderer Leute, die so wie sie auf die nächste Tram warteten: Berufstätige, Mütter mit Kindern, Studenten und Schüler. Aber niemand, der sich speziell um sie gekümmert hätte oder sie länger ansah als bis zum nächsten flüchtigen Lidschlag. So wie es für das Leben in einer Großstadt typisch war.
Als sie kurz darauf in der Straßenbahn saß, ließ sie die vergangenen Tage nochmals Revue passieren. Was als kleine Abwechslung zu ihrem beruflichen Alltag begonnen hatte, entwickelte eine Eigendynamik, der sie nur mit Mühe und Not folgen konnte. Vor einigen Wochen war ihr Stefan Urban nicht einmal dem Namen nach bekannt gewesen. Mittlerweile hatte sie mehr über ihn herausgefunden, als ihr lieb war, und es riss nicht ab.
Paula war froh, dass Ada dichthielt und Santo nichts vom Verlauf und den Ergebnissen der Recherchen erzählte, die in eine ganz andere Richtung liefen, als sie es geplant hatten, und die sicher nicht in einer Ehrenbiografie Erwähnung finden würden.
Es war ihr wieder einmal gelungen, in eine Geschichte hineinzugeraten, die ihr einige Nummern zu groß schien. Aber nun gab es kein Zurück mehr. Es hatte sie eine Gier nach Wahrheit gepackt, die ihr keine Ruhe mehr ließ. Egal, was sie noch herausfinden würde, sie hatte keine Lust, sich blind zu stellen, so wie die Wex oder Blesch.
Was sollte ihr schon passieren? Außer, dass der Inhalt einiger Gespräche, die sie führte, für die Biografie nicht zu verwenden war.
Vor allem war da immer noch Markus, der einen guten Gegenpol zu diesen unerfreulichen Entwicklungen darstellte. Hatte sie anfangs ein wenig Angst davor gehabt, durch ihn ihre Unabhängigkeit zu verlieren, dass er ihre Zeit und Gedankenwelt zu sehr in Beschlag nehmen könnte, so genoss sie mittlerweile die Zweisamkeit in vollen Zügen.
Die Seniorenresidenz – eine Jugendstilvilla – befand sich in einer gepflegten Gartenanlage im neunzehnten Bezirk. Wer immer Krein war, er musste über ausreichend Geld verfügen, um hier wohnen zu können. In einem Anbau konnte Paula ein Schwimmbad erkennen, und auf einer Tafel im Empfangsbereich war für den heutigen Abend ein Theaterstück angekündigt. Paula meldete sich bei der Rezeption an und wurde freundlich gebeten, vorübergehend im Besucherraum Platz zu nehmen. Auf jedem Tisch stand ein Weihnachtsgesteck. Nicht jene kitschigen, die es bei jedem Blumendiskonter zu kaufen gab, mit Kerze, Masche und Tannenzapfen, sondern ein ausgewählter Pflanzenmix, geschmackvoll arrangiert, ohne
Weitere Kostenlose Bücher