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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: I Mayer-Zach
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gewesen, und Paula hatte nur selten an Urban oder Markus gedacht. Nun aber kehrte der Alltag wieder ein und zu Hause würde sie alles an diese traurige Affäre erinnern. Sie machte sich nicht mehr vor, dass es mehr als eine solche gewesen war. Natürlich waren da Clea und Kurt, die besten Freunde, die man in so einer Situation haben konnte, aber sie wollte nicht ständig an deren Rockzipfel hängen. Was sie in all ihrem aufkeimenden Trübsinn nicht einkalkuliert hatte, war, dass es noch schlimmer kommen könnte.
    Schon vom Stiegenhaus sahen sie, dass die Tür einen Spalt offen stand. Einen kurzen Augenblick hoffte Paula, dass Clea früher als geplant von ihrem Weihnachtsbesuch im Burgenland zurückgekommen war und vergessen hatte, sie zu schließen. Aber sie hätte sicher nicht das Schloss gewaltsam aufgebrochen. Dann hoffte Paula noch – wenngleich dieser Gedanke bereits weit hergeholt war –, dass es sich um einen schlechten Scherz der kleptomanen Ada handelte. Aber auch diese Hoffnung wurde nicht erfüllt: Sobald sie die Tür noch etwas weiter aufschoben, war ihnen klar, dass es sich hier nicht um einen Spaß handelte, sondern dass sie Opfer eines Einbruchs geworden waren. Der Anblick ließ Paula alle anderen momentanen Sorgen vergessen. Alles, aber wirklich alles schien sich auf dem Boden zu häufen.
    „Geh nicht hinein. Ich rufe die Polizei. Wegen der Spuren.“ Kurt wirkte äußerlich völlig ruhig. Doch wenn er, der Jurist, keinen ordentlichen Satz mehr formulieren konnte, dann hieß das schon einiges. Kurze Zeit später kamen zwei Beamte in Uniform. Paula wusste das zu schätzen, denn von anderen Einbruchsopfern hatte sie erfahren, dass das bei der großen Zahl an Delikten keine Selbstverständlichkeit war.
    Bei genauerem Hinsehen wurde das Ausmaß sichtbar: Regale waren umgestoßen worden, Schubladen ausgeleert, Wäsche lag zwischen Geschirr. Das Orangenbäumchen von Kurt und die anderen Grünpflanzen lagen entwurzelt auf einem Haufen. Auf den frisch gestrichenen weißen Wänden in der Küche hatte jemand mit roter Farbe „Stop it or …“ gesprayt.
    „Können Sie schon sagen, ob etwas fehlt?“, fragte einer der Beamten.
    Der Fernseher, ein älteres Modell, stand noch immer an seinem Platz, ebenso die mittelalterliche Musikanlage. Videokamera, Fotoapparat und den tragbaren MP3-Player hatte sie zur Weihnachtsfeier mitgenommen. Nur der Platz, wo der Computer gestanden hatte, war leer.
    „Diese Idioten“, zischte Paula. „Der alte Krempel bringt den Typen doch nichts mehr ein. Den können sie grad bei der Müllsammelstelle abgeben.“ Und dann fiel ihr ein, dass die letzte Sicherung schon lange zurücklag. Und dass die Fotos, die sie auf der Festplatte gespeichert hatte, und das Schlimmste: die rund dreihundert Kontakte – private ebenso wie geschäftliche, die sich darauf befunden hatten – weg waren. Von einem Moment auf den anderen stand sie im übertragenen Sinn ohne Freunde und ohne Geschäftsverbindungen da. Es würde Wochen dauern, alles zu rekonstruieren, sofern es überhaupt möglich war.
    „Haben Sie einen Verdacht? Gibt es Leute, die etwas gegen Sie haben?“, fragte einer der Beamten. Er entsprach perfektdem Klischee eines coolen Polizeibeamten: Mitte dreißig, groß, von breiter Statur, Bürstenhaarschnitt, stechender Blick. Jeder Muskel seines Körpers wurde wohl regelmäßig trainiert. Außer vielleicht jener, der für das Lachen zuständig war. Von ihm eine verpasst zu bekommen, ließ sicher auch anderen das Lachen vergehen.
    „Verdacht? Wie meinen Sie das? In meinem Bekanntenkreis gibt es keine Personen, die am Weihnachtsabend in die Wohnungen friedlicher Bürger einsteigen und diese verwüsten“, mokierte sich Paula Ender, die ordentliche Bürgerin. Ihrem Gesprächspartner zu gestehen, dass sie selbst erst kürzlich in ein Haus eingebrochen war und ihre Freundin Ada laufend Dinge mitgehen ließ, erschien ihr derzeit unangebracht.
    „Mir sieht das hier nicht wie ein simpler Einbruch aus. Dagegen spricht die Schmiererei und dass offenbar nichts gestohlen wurde, bis auf den PC. Woran arbeiten Sie zurzeit? Was sind Sie von Beruf?“ Der Polizeibeamte ließ nicht locker.
    „Ich halte Schreibseminare ab und bin Autorin. Derzeit arbeite ich an einer Biografie …“, sie hielt erschrocken inne. An die Möglichkeit, dass die Verwüstung mit der vermaledeiten Biografie zusammenhängen könnte, hatte sie noch gar nicht gedacht. „Ich schreibe an einer Biografie über einen Fotografen,

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