Schärfentiefe
deren Recherchen sich in der Tat etwas eigenartig entwickeln. Aber dass deswegen jemand in meine Wohnung einbricht, ist völlig absurd.“
Der Beamte sah sie müde an, und Paula wurde bewusst, dass sie sich mit dieser Bemerkung bei ihm in die Kategorie „blond, naiv und keine Ahnung von der Realität“ eingereiht hatte. Natürlich gab es weit absurdere Dinge, weswegen betrogen, gestohlen und geraubt wurde.
Paula hatte erst vor Kurzem in einem Zeitungsartikel gelesen, dass allein in Wien rund zehntausend Einbrüche innerhalb eines Jahres verübt wurden. Dazu kamen noch tausendeFirmeneinbrüche. Beruhigend – unter Anführungszeichen – war für sie damals das abgedruckte Statement eines einsitzenden Einbrechers gewesen, der erklärte, dass Akademikerwohnungen nicht zu den begehrten Zielen seiner Berufsgruppe gehörten, weil dort meist nicht viel zu holen sei. Was in ihrem Fall völlig zutraf, dennoch hatte ihr akademischer Titel auf dem Türschild sie nicht vor diesem Einbruch bewahrt. Oder hatte sich tatsächlich jemand durch ihre Recherchen gestört gefühlt?
Das konnte eine mögliche Erklärung für diese „Stop it or …“-Schmiererei in der Küche sein. Wem konnte so viel an Urbans weißer Weste liegen? Oder hatte sie etwas übersehen? Die Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum.
Andererseits könnte es genauso gut ein schlechter Scherz einer Jugendbande gewesen sein, die ihre Langeweile über die Weihnachtsfeiertage totschlagen wollte. Nachdem Paula und Kurt eine erste grobe Bestandsaufnahme gemacht hatten – bei Kurt im Zimmer war zwar ebenfalls gewütet worden, aber es fehlte nichts, nicht einmal sein Laptop, der sich in der Aktentasche befand –, bat der Beamte die mittlerweile eingetroffenen Kollegen von der Spurensicherung, mit der Arbeit zu beginnen. Von Paula und Kurt wurden ebenfalls Fingerabdrücke genommen, damit man diese zuordnen und jene der Täter herausfiltern konnte. Wäre der Anlass nicht so unerfreulich gewesen, hätte Paula sich richtiggehend gut amüsiert: Zum ersten Mal sah sie, was alles ablief, wenn eine Straftat begangen worden war. Und wer konnte schon von sich sagen, dass er zu Weihnachten live bei der Polizeiarbeit dabei sein durfte?
Danach fuhren die beiden Beamten mit Paula und Kurt zur Polizeistation, um die Berichte zu verfassen, während ihre Kollegen weiterarbeiteten. Paula erzählte von ihren Recherchen zur Biografie, wobei sie aber keine Details bekannt gab und auch ihre illegalen Nachforschungsmethoden unerwähnt ließ.Darauf hatte sie Kurt, ganz Jurist, noch rasch hingewiesen, während sie ins Präsidium gefahren waren. Der Beamte hörte sich alles ruhig an, schrieb dann einen umfassenden Bericht, was einige Zeit in Anspruch nahm, da er nur mit zwei Fingern tippen konnte, und Paula unterzeichnete ihre Aussage. Zum Abschied gab er ihr ein Kärtchen und bat sie, sich bei ihm zu melden, falls ihr noch etwas Konkretes einfallen sollte. Manches war ja doch wie im Fernsehen.
Nach ungefähr zwei Stunden war das ungewöhnliche Unterhaltungsprogramm beendet, und Paula und Kurt kamen zum zweiten Mal an diesem Nachmittag zu Hause an.
Mittlerweile war es dunkel geworden. Während die Polizisten ihre Arbeit verrichtet hatten und das Tageslicht beim Fenster hereingeblinzelt hatte, war ihr das angerichtete Chaos nicht so schlimm erschienen. Doch nun flößten ihr die Wohnung und vor allem der Spruch in der Küche gehörige Angst ein. Die Erkenntnis, dass eine fremde Person mutwillig in ihr Zuhause eingedrungen war und dieses ausgeraubt hatte, aber auch der Frust über die verlorenen Daten trafen sie mit voller Wucht.
Was, wenn es der oder die Täter auf sie abgesehen hatten und in der Nacht wiederkamen? Eine bisher unbekannte Furcht um Leib und Leben erfasste sie. Paula, die sich bisher immer als recht mutig betrachtet hatte, getraute sich nicht einmal mehr allein ins Badezimmer. Die Küche konnte sie im Moment überhaupt nicht betreten. Die rot hingeschmierte Aufforderung erinnerte sie an einen Horrorfilm. War es nur ein Jux? Dann wünschte sie denen, die sich das hatten einfallen lassen, die Pest an den Hals. Sie hatten keine Ahnung, welch schlimme Auswirkungen dieser schlechte Scherz auf die Betroffenen hatte. Oder war es eine Warnung, wie der Polizist glaubte?
Der Mann vom Türnotdienst war nicht erfreut, von ihrem Unglück zu hören. Weniger weil sie ihm leid taten, sondernweil er sich in seiner Feiertagsruhe gestört fühlte. Binnen einer Stunde war das Schloss
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