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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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Laube gebaut und den ganzen Tag Karten gespielt. Trotzdem hatte er das Karteln nie erlernt. Nie richtig. Er hatte es damals schon nicht verstanden, und damit wurde der Grundstein gelegt für das lebenslange Unverständnis. Einmal nicht verstanden, niemals mehr verstanden. Für Schorla war das logisch. Er hatte zwar trotzdem die Regeln, nie aber das Karteln gelernt. Und hatte er einmal ein Spiel, verkartelte er es garantiert. Der Kopf blockierte sofort, das Hirn machte zu wie beim Loddar der Muskel, die Hände zitterten, die Stimme kippte weg. Der Tunnelblick. Dann ging überhaupt nichts mehr, und er konnte das Spiel nur noch vergeigen. Das aber konnte er gut. Und manchmal rebellierte der Magen. Er mühte sich immer und immer wieder, bei den anderen ging es doch auch; aber die Mauer wurde jedes Mal höher. Es war zum Kotzen, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Trotzdem. Der Schorla wollte immer dabei sein. Aber es gelang ihm nie. Sein Leben bellte und spuckte ihn an, wo es nur konnte. Immerhin hatte er es doch noch bis zum Pförtner bei der Dynamit in Fürth gebracht. Von dort aus ging er auch heimlich in den Ronhof. Dass er ein Fan der Fürther war, getraute er sich daheim nicht zu sagen. Alle um ihn herum im Dorf waren Fans des Clubs. Er aber hasste diesen Verein. Die Fürther Fans waren für ihn gemütlich, waren erdig, waren brav. So wollte er auch sein. Die standen auf dem Erdwall im Ronhof und sonderten Hingebung ab – Hingebung an die Niederlage und das Tragen des Schicksals mit Stil. Man war halt klein und ein Niemand, das war so und damit gut. Da wurde zwar lamentiert, aber nicht ernsthaft, nur wie im Spiel. Natürlich ging es ums Leben, aber ein Leben in Fürth war klein. Man dachte das da nicht groß und machte es auch nicht groß. Man blies sich nicht künstlich auf.
    Die Club-Fans hingegen machten das Leben groß. Schorla fand das vulgär und großkotzig, sonst nichts. Nicht angemessen, nur maßlos und penetrant überzogen. Und trotzdem ging er mit den Jungen aus dem Dorf ins Stadion, mit dem Maschder, dem Schmidla, dem Usch und dem Risch. Weil er dabei sein wollte, und einer der ihren. Und wenn sie dann im Zug saßen auf der Fahrt nach Hause oder auf dem Weg waren vom Bahnhof ins Dorf hinein und die Fahnen schwenkten und nicht nur siegestrunken, sondern voll besoffen grölten, dann fror es ihn innerlich, so sehr lehnte er sich selbst ab. 1968 war es am schlimmsten. Einmal sangen sie die ganze Fahrt über »Die zehnte Meisterschaft ist nur ein Klacks, wir haben ja den Merkel Max. Die elfte Meisterschaft ist nur ein Klacks, wir haben ja den Merkel Max«. Die zwölfte … dreizehnte … vierzehnte … bei der einhundertsiebenundzwanzigsten kam der Zug endlich an. Das war vielleicht fünf Bier später. Für jeden.
    Oder sie zogen vom Bahnhof ins Dorf und skandierten »Tschick – tschack – Cebinac, tschick – tschack – Cebinac«, und er mittendrin – aber für sich selbst immer nebendran. Wenn die wüssten, was er für ein Doppelleben führte. Dass er überhaupt eines führte. Und wie er litt auf dem Hauptmarkt im dichten Gedränge, als der Club endlich Meister war! Er musste aber mit den Jungen dorthin, die duldeten keine Ausrede.
    So führte der Schorla ein Doppelleben. Mitläufer hier, aber nie richtig dabei, heimlicher Fan dort, und dort auch nur Zaungast.
    Manchmal wachte Schorla nachts auf, und das Leben war ein einziges Loch. Doch am Tag war das ja auch kaum anders. Schorla hatte Angst vor allem und jedem. War ständig verschreckt, im Dauerzustand des Erwischtwerdenkönnens. Das war sein Leben, und so ein Leben gibt dir keine Chance. Da kann man nie angstfrei sein oder sicher, das ist ganz einfach nicht vorgesehen. Also kann man auch nichts dagegen tun. Und Kleinigkeiten machten das dann noch schlimmer. So sagte er immer »Schafskopf« statt »Schafkopf« und erntete Lachen. Er konnte dagegen nichts tun. Das war wie beim Kartenspielen selbst. Und einmal erntete er dafür wirklich einen Schafskopf. Einen stinkenden, blutigen Hammelschädel, den sie ihm in der Nacht über die Haustür hängten. Die anderen aus dem Dorf. Für die war das lustig, ein Streich. Für ihn aber war es schlimm. Es war so etwas wie ein Höhepunkt.
    Dann starb der Schorla, mitten in einem Leben, das keines war. Da war der Hans, sein Sohn, noch klein. Der Schorla war weg, und der Hans blieb da. Das Loch aber, das das Leben des Schorla war, hatte er dem Hans hinterlassen. Groß und schwarz und unendlich tief. Das Loch war da, und

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