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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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keinen Schmerz. Dann sah er es: im Daumenballen ein Loch. Nicht groß, aber tief. Eine Triangel in der Haut, tief hineingerissene Fleischwunde. Er besah sich den Stock und erkannte den Grund: Ein Aststück stand ab, spitz, kurz, aber hart, das hatte die Wunde wohl verursacht, als er mit Kraft auf die Steine schlug. Er öffnete seinen Rucksack, verarztete die Wunde, dann rollte er sich zusammen und schlief. Die Schafe kamen nicht mehr wieder.
    Am nächsten Morgen ging er den Weg zurück. Es regnete dicht, und die Sicht war schlecht. Die Hand pochte leicht, aber schmerzte nicht. Dicke Nebelschwaden nahmen ihm den Blick ins Gelände. Aber er kannte den Weg, war ihn erst gestern gegangen. Nur manchmal musste er warten, wenn der Nebel zu dicht war. Zuweilen für mehrere Minuten. Dann harrte er und lauschte. Es überkam ihn eine große Ruhe. Das Pochen in der Hand war egal. Lästig zwar und ärgerlich, aber durchaus ganz gut zu ertragen. Morgen Abend, wieder daheim, würde er sich richtig darum kümmern. Erst hatte er noch zu tun.
    Gerne hätte er auf der Alpe di Doia vorbeigeschaut, er erinnerte sich noch lebendig an den Eindruck vom Jahr zuvor. Im Dämmerlicht, Rauchschwaden fast bis auf Brusthöhe im tiefen Raum, hatte im hinteren Teil wie in einer Höhle der Senn gestanden. So war sein Blick durch die geöffnete Tür hinein gewesen. Nur die Augen stachen durch die Rauchschwaden hindurch, verstärkt durch das seitliche Sonnenlicht vom Fenster. Auf offener Feuerstelle mitten im Raum verkokelte der Senn Wurzelstöcke. Seine Haare standen in alle Richtungen, sein Bart war nur mit der Schere geschnitten. Das hatte etwas Wildes. Alles in diesem Raum war ein anderes Jahrhundert. Sie hatten sich kaum verständigen können, denn der Senn sprach italienisch, und das nur sehr schwer verständlich. Als ob er seine eigene Sprache besäße, Ergebnis des vielen Alleinseins. Im rückwärtigen Teil des Raumes und nur gebückt betretbar, hineingehauen in den Fels das Käselager. Runde Laibe auf rohem Holz in Regalen, junge und alte, blanke und schimmelige. Und alle schon verkauft, wie der Senn ihm verständlich machte. Die Leute im Tal kauften den Käse, bevor es ihn gab. Milch hatte er getrunken aus einem schmierigen Blechbecher und vom Käse probiert. Dann war er weitergewandert. Heute aber ging er so, dass der Senn ihn nicht sah, die Wolkenfetzen taten ihr Übriges. Besser konnte es nicht sein.
    Auf dem Pass oben über der Doia stand er im dichten Gewölk. Kalt pfiff der Wind durch die Scharte und schnitt ihm ins Gesicht. Ihm war es recht. So konnte der Wirt ihn von unten aus nicht kommen sehen. Dann schluckten ihn wieder die Wolken. Am See vorbei erreichte er endlich den lichten Wald am rückwärtigen Hang der Hütte. Dort schlug er sich seitwärts, verborgen von Büschen, einen Platz mit Blick auf die Hütte. Er wollte sie bis zum Abend beobachten.
    Aus der Hütte kam hin und wieder der Wirt heraus, sah ins Gelände, rauchte. Einmal holte er Holz, dann brachte er Müll fort, abseits versenkte er ihn in einer Spalte. Futter für Füchse und Vögel. Ein andermal ging er ins Nebenhaus mit Eimer, Besen und Schaufel. Dann füllte er Getränke im Brunnen auf. Viel mehr geschah nicht. Nur ein Birkhuhn gurrte, als es dämmerte, immer wieder abseits, doch unser Mann schenkte ihm keine Beachtung. Kein Gast kam an diesem Nachmittag bei der Hütte vorbei, kein Versprengter zum Übernachten. Von hier oben konnte man sehen, wenn drinnen der Herd gefüttert wurde. Dichter Rauch quoll dann aus dem Abluftrohr. Später trat der Wirt wieder heraus, machte Übungen oder sah ganz einfach ins Tal. Minutenlang stand er dann regungslos.
    Mit fortgeschrittener Dämmerung stieg unser Mann hinunter. Kein Gast war mehr eingetroffen, er würde mit dem Wirt allein sein. Sein Plan ging auf.
    Die Tür der Hütte stand offen, gelb und einladend gemütlich quoll das Licht aus der Wärme hinaus. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt saß der Hüttenwart am Tisch, die Beine lang ausgestreckt auf der Bank. Ein Buch, ein Glas Rotwein, sonst nichts. Draußen patschte der Regen, eine Windbö fauchte ums Haus.
    Der Hüttenwart blickte auf, sah und erkannte ihn gleich, lachte. »Na, da hab ich ja doch noch einen Gast. Servus! Hier isses schöner als auf der Ribia, stimmt's? Und wärmer. Und besseres Essen. Und Wein.« Er legte sein Buch aufgeschlagen, mit den Seiten nach unten, auf den Tisch. Philippe Djian, Betty Blue. »Scheiß Wetter, gell? Gut, dass Sie es noch geschafft

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