Schafkopf
haben. Im Dunkeln ist das da draußen kein Spaß, da verliert man schnell seinen Weg. Sie bleiben doch über Nacht? Ach was, ich lass Sie gar nicht mehr gehen. Ich mach uns etwas zum Essen.« Stand auf und ging zum Herd, legte Holz nach, ging nach hinten und holte Töpfe. Dann stellte er seinem Gast Brot und Knoblauchbutter auf den Tisch. »Ein kleines Amuse-Gueule. Danach gibt es Suppe, einen kleinen Salat und schließlich Rinderbraten. Alles noch Reste von gestern. Sie werden es nicht bereuen, dass Sie wiedergekommen sind!« Währenddessen hantierte er am Herd, legte noch mal Holz nach und lachte. Das Dasein als Hüttenwirt war für ihn wirklich schön, das war ganz deutlich zu spüren.
»Ach ja: Ihre nassen Klamotten können Sie hinten auf den Wäscheständer hängen, Bergschuhe bitte hinten ins Regal, da finden Sie auch Hüttenschuhe. Nach dem Essen häng ich alles übern Herd, dann ist es morgen trocken.« Erste Düfte kamen schon aus dem Kücheneck, die ersten Topfe dampften. Salat wurde serviert, dann Suppe. Der Wirt setzte sich zum Essen dazu.
Er wechselte jetzt zum »Du«, erklärte es. »Es gibt kein ›Sie‹ auf dem Berg. Was ist mit deiner Hand? Wenn du etwas brauchst: Hinter der Tür ist der Notfallkasten. Da ist alles drin. Ach ja, und das bitte nicht vergessen: ins Hüttenbuch eintragen. Name, Adresse und so.«
Der Gast blieb ziemlich schweigsam. Trotzdem tranken sie zusammen Wein, der Wirt mehr als der Gast. Dann zog sich unser Mann zurück, hinauf ins ihm zugewiesene Lager. »Frühstück um halb acht!«, rief der Wirt noch hinauf, »und eine gute Nacht!«
Er saß wieder auf seinem Platz, trank seinen Wein und las. Er fühlte sich nicht gut. Dann schleppte er sich ins Bett, in seine eigene Kammer direkt gegenüber dem Lager. Durch das Glasfeld in der Tür nahm er wahr, dass der Gast wohl noch las. Ein dünner Lichtschein, vermutlich eine Stirnlampe, schien hindurch. Benommen zog der Wirt die Tür seiner Kammer zu, legte sich aufs Bett und schlief ein.
Am frühen Morgen, noch in der ersten Dämmerung, vernimmt Alain einen Knall. Auch Alain lebt in der Rotonda, dem Weiler oberhalb Soladino, und kümmert sich um die Kühe. Sie haben, wie die Schafe auch, das gesamte Terrain für sich, bis oben hinauf zum See und rückwärtig zum Cansgei. Sie werden nicht gemolken, säugen nur ihre Kälber. Alain passt auf sie auf, und wenn es das Wetter erlaubt, geht er täglich die große Runde. Heute aber ist das Wetter zu schlecht, er würde warten bis morgen. Der Knall macht ihn für einen Moment stutzig, dann hakt er ihn ab. Vielleicht nur ein Baum, der gefallen ist, oder ein Stein, denn gejagt wird um diese Zeit nicht. Die Wolken verschlucken so viele Geräusche, verfälschen sie auch manchmal. Alain legt in seinem Herd ein Holzscheit nach und freut sich auf den Kaffee. Sein Hund hat nur kurz gelauscht. Nur im Liegen die Ohren aufgestellt und bewegt, dann gegrunzt und weitergeschlafen.
Auch Neto, der Helfer der Jäger, hört den Knall. Er hört ihn aber anders. Am frühen Morgen schon steht er vor seinem Häuschen unter dem Vordach und lauscht dem Klackern der Tropfen. Der Knall klingt für ihn wie ein Schuss. Nicht ganz, aber doch ähnlich trocken. Sehr viel massiver nur. Er kann ihn nicht richtig einordnen. Würde jetzt hier gewildert werden, schöbe man ihm das wieder in die Schuhe. Er selbst darf nicht jagen, es ist ihm verboten. Beschuldigt aber wird er immer wieder. Denn er kommt nicht aus dem Tal und gilt den Einwohnern als Fremder. Und Fremde haben es hier schwer. Er würde besonders wachsam sein heute und aufpassen, wer sich alles im Gelände bewege. Hinausgehen aber würde er nicht, solange das Wetter so bleibt.
In der Ansiedlung Soladino hört niemand den Knall. Die Frauen schlafen noch, auch liegt dieser Weiler tiefer. Vielleicht hat auch der Wald das Geräusch bis dort hinunter verschluckt.
Am gleichen Morgen noch sieht man an den Hängen der Südseite des tief eingeschnittenen Valle del Soladino einen einzelnen Mann absteigen. Der Weg ist glitschig und steil, doch der Mann hat einen sicheren Tritt. Er hat ganz bewusst diesen Weg gewählt, gerade bei diesem Wetter. Er gilt als gefährlich, manchmal von herabstürzendem Wasser überspült. So wird ihm niemand begegnen. Noch am frühen Vormittag kommt er weit unterhalb der Soladino auf der anderen Seite des Taleinschnitts durch den Weiler Piandalevi, doch der scheint menschenleer. Wäre der Himmel klar, könnte er im Blick nach oben die
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