Schafkopf
Häuschen der Soladino sehen. Dort trinken die Frauen gerade Kaffee. Auch sie gehen heute nicht oft vor die Tür und verrichten dort oben nur das Nötigste. Man genießt solche Tage auf dem Berg, wenn das Wetter die Arbeit verhindert. Den Rentner aus dem Tal, der einen Großteil seiner Zeit in Piandalevi verbringt, sieht der Mann nicht. Zu schnell und zu zielstrebig ist er unterwegs.
Mehrmals klingelt an diesem Tag auf der Alzasca das Telefon. Angelo aus Locarno, der Patron der Hütte, will den Hüttenwart sprechen, will wissen, ob alles in Ordnung ist. Denn bei starkem Regen macht die Turbine manchmal Probleme. Dann muss man die Filter säubern und die Einfassungen für das Wasser kontrollieren. Doch der Hüttenwirt meldet sich nicht. Die Hütte liegt still im Regen.
Unten nimmt der Mann wieder den Bus. Der fährt immer zur vollen Stunde. Am Auto zieht er sich um, als Wanderer fällt er nicht auf, es gibt so viele hier, und verstaut die Kleider in einem Beutel. Dann nimmt er die Straße Richtung Locarno. Auf einem Parkplatz noch in der Schweiz nimmt er Perücke und Brille ab, entfernt die aufgeklebten Koteletten, nimmt sich die Linsen heraus. Ebenso die Polster in den Backen. Das alles stopft er in einen Sack, einen zweiten. Dann fährt er zum Bernardino. Auf der Südseite der Alpen lässt er den Regen hinter sich und fährt in einen sonnigen Nachmittag. Erst bei Kempten entsorgt er den Sack mit den Kleidern in einem Container vor einem Edeka. Linsen, Perücke und Brille bei Ulm. Am frühen Abend ist er daheim.
»Communia Werbeagentur München, Empfang. Guten Tag. Sie sprechen mit Sylvia Lederlein. Was kann ich für Sie tun?« In der Rezeption der Agentur München hatte das Telefon geklingelt.
»Hölzer, Marketing Savitas. Bitte Herrn Hajo Schrader. Sofort.« Der Anrufer wirkte ungeduldig.
»Das tut mir leid, Herr Schrader ist derzeit im Urlaub. Kann Ihnen vielleicht irgendjemand anderes weiterhelfen?«
»Wann ist er wieder zurück?« Der Herr am anderen Ende der Leitung wirkte pampig.
»Nicht vor nächster Woche. Ich glaube, am Donnerstag kommt er zurück. Vielleicht aber auch erst am Freitag.«
»Verdammt, ich muss ihn sprechen. Wie kann ich ihn erreichen?« Das war jetzt schon etwas lauter.
»Das tut mir leid, Herr Schrader ist nicht erreichbar.«
»Geben Sie mir seine Handynummer!« Jetzt wurde der Mann richtig laut.
»Das wird Ihnen nicht weiterhelfen, Herr Schrader hat es abgeschaltet.«
»Dann schicke ich ihm eine Mail. Oder eine SMS. Er wird ja wohl zwischendurch mal seinen verdammten BlackBerry anmachen und nachsehen, oder?« Jetzt war der Herr schon unverschämt.
»Ich glaube, ich muss Sie enttäuschen«, flötete die Dame vom Empfang freundlichst zurück. »Dort, wo er ist, gibt es keinen Empfang.«
»Ja Sch …! Wo treibt der sich denn rum? Ich brauch ihn extrem dringend! Selbst in China geht doch jedes Handy.«
»Herr Schrader ist im Tessin auf einer abgelegenen Hütte. Dort gibt es keinen Empfang. Aber das sagte ich Ihnen ja bereits.« Jetzt war auch die Empfangsdame schon bereit, kleine Spitzen zu setzen. So unverschämt darf doch keiner kommen!
»Verdammter Drecksmist, verfluchter! Das wird Konsequenzen haben!« Mit einem Knacken war die Leitung tot.
In Erlangen bei Savitas kochte Herbert Hölzer am Telefon. »Verdammte Sch … Das kann doch alles nicht wahr sein! Dem haben sie doch das Hirn amputiert!«
Im Nebenzimmer horchte seine Sekretärin schon auf. Sie kannte den Unflat und die Wutausbrüche ihres Chefs, aber dieser war schon etwas Besonderes. So ungehalten und laut wurde er selten.
Vor Hölzer lag ein Zeitungsartikel auf dem Tisch. Anonym via Hauspost gekommen. Umso unangenehmer. Und da stand zu lesen: »Kein Alter. Postkarten mit peinlicher Pro-Atom-Propaganda«.
Der Text dazu lautete: »Man kann der deutschen Kernkraftlobby einiges vorwerfen – aber nicht, dass sie uns nicht immer wieder mit ihren Werbekampagnen amüsieren würde. Für die neueste bedruckte das Deutsche Atomforum hellblaue und zartrosafarbene Postkarten mit offenbar ironisch gemeinten Slogans. Etwa: ›Danke für die letzte Nacht!‹ Kryptisch? Anzüglich? Auf der Rückseite wird aufgelöst, ein deutsches Atomkraftwerk erzeuge genug Strom, um 50 Millionen Fernseher rund um die Uhr laufen zu lassen. Welche Vorstellung von einer gelungenen Nacht! Oder: ›Willst Du wirklich mit mir Schluss machen?‹ Leider fehlen auf der Rückseite die Kästchen, um ›ja‹, ›nein‹ oder ›vielleicht‹ anzukreuzen.
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