Schafkopf
Behütuns hatte das Gefühl, dass es endlich vorwärtsging. Nach zwei Tagen Stochern im Nebel. Er war gespannt auf den nächsten Morgen.
Wieder ein Tag, durch den Kopf
geschossen und verscharrt.
Charles Bukowski
10. Kapitel
Es gibt Tage, die starten mit großen Erwartungen und enden mit nichts. Immerhin nicht im Nichts, aber doch mit leeren Händen. Man gibt den ganzen Tag Gas und bemüht sich, und der Fahrtwind pfeift einem um die Ohren, aber wenn man abends aus dem Fenster schaut, ist die Umgebung noch die gleiche wie am Morgen. Kein Zentimeter Landgewinn. Dabei wollte man schon längst, wenn nicht auf einem anderen Kontinent, so doch wenigstens in einem anderen Land sein. Mehr Sonne, weniger Nebel, länger hell.
War aber nicht so.
Trotzdem war eine ganze Menge geschehen.
Man hatte noch am Nachmittag die Wohnung von Dr. Sauer durchsucht. Eine seltsam aufgeräumte Wohnung. Behütuns war nur kurz dabei gewesen, er hatte sich persönlich ein Bild machen wollen. Die Wohnung war lieblos, kalt. Kein Wunder, dass Sauer alleine lebte. Jede Frau musste hier sofort frösteln. Der Ort hatte überhaupt nichts Persönliches.
Man hatte Akten mitgenommen, den Rechner, das Handy. Es hatte mit den Papieren des Opfers auf dem Tisch gelegen, wie abgelegt bei einem Kleiderwechsel, um danach wieder eingesteckt zu werden. Vielleicht hatte er es vergessen, was erklären würde, dass der Tote nichts bei sich trug. Oder er war in Eile gewesen. Oder unter Druck. Alles nur Mutmaßungen. Behütuns hatte die Befragung der Nachbarn angeordnet, um herauszufinden, ob ihnen am fraglichen Abend etwas aufgefallen war. Auf die Ergebnisse würde er noch einen Tag warten müssen. Hier also noch kein Ergebnis.
Erfolglos auch da: Das Handy war wohl längere Zeit nicht benutzt worden, die letzten Gesprächs- beziehungsweise Anrufeingänge waren zeitlich identisch mit den Telefonaten seitens Savitas vom Tag zuvor, als man versucht hatte, Dr. Sauer zu erreichen. P. A. konnte das bestätigen.
Auch die Buchung des Fluges von Sauer aus Brasilien zurück war noch aktuell, er hatte den Flug nicht verschoben. Warum er in der Firma dann einen anderen Rückflugtermin angegeben hatte, war nur eine der neu auftauchenden Fragen. Fest stand: Der Rückflugtermin war schon frühzeitig bestimmt worden, Sauer hatte ihn so geplant. Also auch hier keine Antworten, nur wieder neue Fragen.
P. A., der am Vorabend noch einen Termin bei Savitas gehabt hatte, hatten sie versetzt. Begründung: Wichtige Verhandlungen. Man hatte ihm nur einen Tee bringen und ausrichten lassen, Dr. Joachim Sauer habe sich in Brasilien auf einer Urlaubsreise befunden, er sei nicht im Auftrag von Savitas unterwegs gewesen. Und man hatte ihm bedeutet, dass man »nicht daran interessiert sei«, dass das Privatleben von Dr. Joachim Sauer in Zusammenhang mit dem Namen des Unternehmens gebracht werde. Das stank, befand P. A., zumindest hatte es einen eigenartigen Beigeschmack. Es würde wieder staatsanwaltlicher Unterstützung bedürfen, hier die entsprechenden firmeninternen Unterlagen einsehen zu können. Und wahrscheinlich auch noch einer betriebsrätlichen Zustimmung. Das kann dauern, ärgerte sich Behütuns – und bietet dem Unternehmen alle Zeit und Chancen, sich die Wahrheit so hinzubiegen, wie es sie braucht. Wenn du es erst einmal mit den Rechtsanwälten zu tun hast, kannst du deine Ermittlungen eigentlich einstellen, wenn du nicht schon etwas Richtiges hast. Rechtsanwälte sind nie an der Wahrheit interessiert, nur am Verschleiern derselben. Als ob sich die Wahrheit um Verfahrensfragen schert.
In einem Punkt zumindest gab es erste Ergebnisse. Das Labor hatte verlauten lassen, allerdings nur unter Vorbehalt, dass der Todeszeitpunkt aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen 22 und 23 Uhr gelegen habe. Auch, dass alles darauf hindeute, dass die Person bei lebendigem Leib »gesprengt« worden sei. Genau das war die trockene Wortwahl der hartgesottenen Mediziner gewesen. Behütuns hatte das erschreckt, aber er war von dieser Seite schon einiges gewohnt und nahm es nicht allzu ernst, hatte sogar ein wenig Verständnis dafür. Wenn man den lieben langen Tag nur an Leichen herumschnipselte, die manchmal wirklich nicht schön aussahen, dann verfiel man wohl ganz automatisch in eine sehr distanzierte, für Außenstehende oft auch erschreckende Wortwahl. Aus Selbstschutz. Auf diesen Gedanken war er vor langer Zeit gekommen, als er seinen ersten Ersthelferkurs gemacht hatte. Der alte Sanitäter, der
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