Schafkopf
natürlich sein, dass du des gar net als Schuss registrierst. Vor allem, wenn du keinen Schuss hörst. Das passiert zum Beispiel, wenn gleichzeitig a andere Lärmquelle wie Vögel oder Hubschrauber oder …«
»Gut, gut. Da muss ja ziemlich viel Zufall zusammenkommen. Gibt es andere Erklärungen für den Befund?«
Lutz wand sich ein wenig. Ihm war offenbar klar, was für eine Erklärung es noch gab. Aber die war nicht vorteilhaft für ihn.
»Es wär möglich, dass an der Kugel in der Kapellenwand gar keine Gewebespuren dran waren. Also ursprünglich.«
»Das heißt …«
»Das heißt, ich hab Scheiß gebaut. Dass ich die Kugel ang’langt hab und da waren noch Gewebereste von der Leiche am Handschuh. Sollt eigentlich net passieren. Passiert aber. Es war Sonntagmorgen. Ich war wahrscheinlich einfach noch verpennt.«
»Ist keine Katastrophe. Aber du solltest es im Bericht erwähnen – dass die Möglichkeit besteht. Das erklärt aber nicht, weshalb es Kugeln aus zwei unterschiedlichen Waffen sind.«
»Wir können ja mal alles Denkbare durchspielen. Zum Beispiel: Es war nur ein Schütze und der hat mit zwei Waffen geschossen.«
»Warum sollte er das?«
»Um uns zu verwirren. Ist ja auch nur eine theoretische Möglichkeit.«
»Okay. Könnte es sein, dass die erste Kugel schon in der Holzwand steckte, bevor der Mord passiert ist? Verirrte Kugel aus einem Jagdgewehr?«
»Theoretisch. Aber wer geht mit einer Dragunow auf die Jagd?«
»Fällt uns sonst noch was ein?«
Lutz dachte eine Weile nach. Dann schüttelte er den Kopf.
»Bis uns eine vierte Möglichkeit einfällt, sind also die zwei Schützen die beste Hypothese?«
»Scheint so«, sagte Lutz.
»Und obwohl wir keine Patronenhülse gefunden haben, die zum zweiten Projektil passt.«
Lutz zuckte mit den Schultern. Das Thema war beendet. Ein anderes Thema stand noch unbesprochen im Raum.
»Dann erzähl mal«, sagte Wallner unvermittelt.
»Du meinst …«
»Susi Lintinger.«
»Mei …«, sagte Lutz und sammelte seine Gedanken. »Wir kennen uns.«
»Den Eindruck hatte ich auch. Wie gut?«
»Ziemlich gut.«
»Das heißt, da läuft was zwischen euch?«
Lutz nickte.
»Wie lange schon?«
»Paar Monate.« Wallner war klar, dass er Lutz jede Einzelheit aus der Nase ziehen musste. Lutz sprach nicht über private Dinge. Zumindest nicht über so private Dinge. Als seine Ehe auseinandergebrochen war, hatte er geredet. Doch das war anders gewesen. Er hatte sich einsam und elend gefühlt und jemanden gebraucht, mit dem er reden konnte, bis es ihm leichter war. Sie waren zwei Abende beim Bier gesessen, und Lutz hatte Wallner Dinge anvertraut, die nicht einmal seine Mutter wusste. Hatte viel von seinen Ängsten gesprochen und dass er jetzt in einem leeren Haus wohnen musste, das er für Frau und Sohn gebaut hatte, und dass ihn das umbringen werde. Aber aus dem Haus ausziehen konnte er auch nicht. Das hätte ihn finanziell überfordert. Seine Frau war mit dem Kind zu dem anderen gezogen, der den Platz von Lutz in ihrem Leben eingenommen hatte. Es war eine schlimme Zeit gewesen, und Wallner hatte sich Sorgen gemacht, ob Lutz das heil überstehen würde. Lutz hatte es überstanden. Seitdem hatte er nicht mehr viel von sich erzählt. Vielleicht hatte er seine damalige Offenheit bereut. Vielleicht sah er einfach keinen Anlass mehr zu reden.
»Aber dir war klar, dass sie die Freundin von Zimbeck ist.«
»Am Anfang war mir des net so klar. Irgendwann hab ich’s mitgekriegt. Auch weil sie immer nervöser geworden is.«
»Je näher die Entlassung kam?«
»Ja.« Lutz genehmigte sich wieder eine Pause, um seinen Gedanken nachzuhängen.
»Was hat sie denn erzählt? Ich meine, das muss doch irgendwie Thema gewesen sein zwischen euch?«
»Sie hat gesagt, sie will ihn verlassen. Aber halt net so.«
»Was heißt
net so?
«
»Na ja, sie wollt’s ihm net im Gefängnis sagen. Sie hat gemeint, des wär unfair.«
»So, wie sie ausschaut, hat sie’s ihm gesagt, als er draußen war.«
»Nein. Hat sie nicht. Glaub ich jedenfalls.«
»Wieso? Was hat sie dir denn erzählt?«
»Sie hätt sich nicht getraut. Und sie bräucht noch a bissl.«
»Und wieso hat er sie dann so zugerichtet?«
»Sie hat’s mir nicht gesagt. Sie hat gesagt, es wär a Unfall gewesen.«
»Das hast du aber nicht geglaubt.«
»Natürlich nicht. Aber sie hat darauf bestanden.«
»Was vermutest du?«
»Ich glaub, der Zimbeck war entweder betrunken. Oder stoned. Oder er hat vermutet, dass sie
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