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Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)

Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)

Titel: Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schumann , Heinz Wuschech
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Krenz geschützt. »Man kann Schürer viel vorwerfen, nicht jedoch, im Auftrage ausländischer Mächte gehandelt zu haben«, schrieb er am 26. Mai 2012 in einer Mail an die Autoren. »Er war einer der Wenigen im Politbüro, die immer wieder auf den Ernst der ökonomischen Situation der DDR aufmerksam gemacht hat.«

Orchideen für Raissa und einen Drops für Schmidt
    Drei Wochen, bevor der »Schürer-Bericht« vorgelegt wurde, besuchten Gorbatschow und seine Frau Raissa Berlin, sie gehörten zu den Ehrengästen, die an den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR teilnahmen. Bilder und Sprüche vom Oktober 1989 sind hinlänglich bekannt, einschließlich deren Interpretation durch die meinungsbildenden Medien. Weniger bekannt – und darüber erregte sich niemand: warum auch? – ist ein kleines Detail, das mehr aussagt, als es auf den ersten Blick scheint. Schalck-Golodkowski musste jemanden nach Westberlin schicken, um für Raissa Gorbatschowa einen Orchideenstrauß im Wert von 100 D-Mark zu besorgen. Die sowjetische First Lady liebte offenkundig ein wenig Luxus und wünschte einen entsprechenden Blumenschmuck in ihrem Quartier vorzufinden. Aber lassen wir die Kirche im Dorf: Gemessen an den Aufwendungen für das politische Spitzenpersonal in westlichen Staaten war das geradezu lächerlich. Und auch anderen First Ladies, die die DDR besuchten, soll der Aufenthalt auf diese Weise verschönt worden sein.
    Zur Erledigung solcher Sofortaufträge gab es eine Arbeitsgruppe, die seit 1977 von Sigrid Schalck-Golodkowski geleitet wurde. Diese fünfköpfige Feuerwehrbrigade gehörte zu jenem Unternehmen, das für die sogenannte Sonderversorgung von Wandlitz verantwortlich war. Die dortige Waldsiedlung, das zur Erinnerung, war Ende der 50er Jahre angelegt worden. Sie bestand aus 23 Einfamilienhäusern sowie verschiedenen sozialen, kulturellen und medizinischen Einrichtungen, darunter einem Ladenkombinat. Die vom Personenschutz des MfS gesicherte Wohnanlage entstand nach dem blutigen Auseinandersetzungen im Herbst 1956 in Ungarn, bei denen an die dreitausend Menschen, darunter nicht wenige Funktionäre der Partei und des Staates, ermordet worden waren. Erst die Intervention sowjetischer Truppen beendete den mehrere Wochen andauernden Terror. Auch in Polen hatte es in jenem Jahr schwer gekriselt, und während in Budapest geschossen wurde, stürmten israelische Truppen zum Suezkanal und bombardierten britische und französische Flugzeuge ägyptische Flughäfen. Alle drei Staaten beabsichtigten, das Nasser-Regime zu stürzen. Zwar konnte durch die gemeinsame politische Intervention der UdSSR und der USA die Aggression beendet werden, doch diese 56er Krisen-und Kriegserfahrungen veranlassten die DDR-Führung zu Sicherungsmaßnahmen, die sie u. a. zur Verlegung des kollektiven Wohnsitzes außerhalb Berlins nach Moskauer Vorbild veranlasste.
    Vornehmlich zwei Gründe machte man geltend, warum ausgerechnet die Wahl auf das Waldstück bei Wandlitz fiel: erstens die gute verkehrstechnische Anbindung – über die Autobahn brauchte man nur eine halbe Stunde bis ins Stadtzentrum, zweitens war, wie die Analyse der-Luft ergab, diese besonders gut und heilsam.
    Und nebenbei: In unmittelbarer Nähe – in Bernau und in Oranienburg – lagen starke Einheiten der sowjetischen Streitkräfte. Diese vermittelten nicht nur das Gefühl von Sicherheit, sondern waren auch imstande, die Staats-und Parteiführung der DDR bei Bedarf geschlossen zu arretieren.
    Dass ein solcher Gedanke nicht ganz abwegig war, machte eine Bemerkung Erich Honeckers deutlich. Als dieser im Sommer 1984 nach Moskau einbestellt wurde, um sich wegen der von ihm verfolgten »Koalition der Vernunft« und der beabsichtigten BRD-Reise die Leviten lesen zu lassen, nahm er u. a. den Auschwitz-Überlebenden Hermann Axen mit. Diesen werde man sich nicht zu verhaften getrauen, äußerte er gegenüber Genossen im Politbüro und ließ Egon Krenz – zu jener Zeit erklärter »Kronprinz« – absichtsvoll in Berlin zurück. Er solle, kehre man aus Moskau nicht wieder, die Amtsgeschäfte übernehmen. Wie Egon Krenz später bekundete, nahm er Honeckers Hinweis damals als Scherz, erst später sei ihm bewusst geworden, dass es sich nicht um Ironie gehandelt habe.
    Die Ängste des Kalten Krieges führten zur Errichtung der Funktionärssiedlung im Wald bei Bernau, und obgleich nahezu alle Bewohner im Nachhinein diese Abgeschiedenheit unisono beklagten (Kurt Hager sprach gar von einem »Ghetto«)

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