Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
und jede Gelegenheit zum Ausbruch nutzten (Margot Honecker beispielsweise bestand darauf, ihren »Wartburg« vorm Wohnhaus Nr. 11 zu parken, wodurch es ihr regelmäßig gelang, ihren Personenschützern zu entkommen), blieben sie bis zur Auflösung der Siedlung Ende 1989 dort freiwillig wohnen. Die Miete betrug pro Haus rund 400 DDR-Mark, Betreuung und Versorgung durch etwa sechzig Angestellte inklusive. Die anderthalb Quadratkilometer große Siedlung sollte nach 1990 zu einem medizinischen Zentrum werden; es kamen viele Neubauten hinzu, die Wohnhäuser der DDR-Führung wurden nach umfassender Renovierung in den Komplex integriert. Inzwischen befinden sich dort diverse Kliniken und medizinische Einrichtungen sowie Seniorenzentren und -residenzen.
Ende 1965 war der VEB Letex gegründet worden, der die Waldsiedlung bzw. deren Bewohner versorgen sollte. Das Handelsunternehmen füllte nicht nur die dortigen Verkaufseinrichtungen, sondern bot auch Dienstleistungen unterschiedlicher Art an. Der Etat des Unternehmens war im Haushalt des MfS eingestellt, zugleich unterstand das Unternehmen als juristische Person dem Ministerium für Handel und Versorgung.
1972 wurde Schalck-Golodkowski, das heißt dem Bereich Kommerzielle Koordinierung, von Mielke und Mittag die Hauptverantwortung für die Versorgung übertragen. Unmittelbarer Anlass war der Umstand, dass Honecker – was dieser bemerkt und moniert hatte – verdorbener Kassler serviert worden war. Die Ursachenforschung brachte zutage, dass es kein Kühlfahrzeug gab. Also wurde dem MfS-Betrieb Letex eine Kontrollinstanz vorgesetzt, die solche Zwischenfälle künftig vermeiden sollte, was jedoch zur Erweiterung des Tätigkeits-und Finanzierungsfeldes von KoKo – bis hin zur Bildung der Arbeitsgruppe »Sofortaufträge« – führte.
Diese Brigade besorgte Heimelektronik und andere Hauseinrichtungen sowie Ersatzteile oder holte aus Westberlin Konsumgüter, die es in der Versorgungseinrichtung der Waldsiedlung sonst nicht gab. KoKo wandte dafür im Jahr rund sieben Millionen D-Mark auf.
Im Vergleich mit den heute üblichen Politiker-und Managerbezügen war das lächerlich wenig – die Vorstandsvorsitzenden von Dax-Unternehmen beispielsweise bezogen 2011 ein Durchschnittseinkommen von 4,27 Millionen Euro, umgerechnet also fast neun Millionen DM. Eine einzige Person kostet das (kapitalistische) Unternehmen also pro Jahr mehr als dem (sozialistischen) Unternehmen DDR die Versorgung ihrer gesamten Führung.
Gemessen hingegen an den damaligen Versorgungsverhältnissen der DDR-Bürger war das unverschämt gut. Das erklärte den überschäumenden Unmut 1989/90, als die Sonderversorgung für Wandlitz publik wurde.
Nüchtern und mit zeitlichem Abstand betrachtet relativiert sich auch dies. Vor allem aber wird klar, dass die vermeintliche Privilegien-und Vetternwirtschaft aus politischen Gründen damals hochgekocht und über Jahre thematisiert wurde: Man brauchte es zur Kriminalisierung und moralischen Diskreditierung der DDR und ihres Führungspersonals. Und das funktionierte ja auch.
Natürlich konnten DDR-Bürger, so sie finanziell dazu in der Lage waren, in den Exquisit-und Delikatläden sündhaft teure Waren kaufen, die entweder aus dem Westen importiert worden waren oder aus der Gestattungsproduktion stammten, also aus DDR-Betrieben kamen, die – in Lizenz oder frei – für den Export produzierten. In Wandlitz gab es diese Waren auch bzw. sie wurden in Westberlin besorgt. Doch waren diese im Preis günstiger als etwa im Exquisit.
Unterm Strich waren die Preise dieser Waren da wie dort nicht kostendeckend. Auf gut Deutsch:
Alle
importierten Konsumgüter, die man mit DDR-Mark bei Exquisit, Delikat oder in der Waldsiedlung bezahlte, wurden zwangsläufig aus dem Staatssäckel subventioniert. Gewinnbringend waren einzig die Waren in den Intershops, die es für D-Mark oder Forumschecks gab. Das waren jene Bezugsscheine, die DDR-Bürger gegen harte Währung in der Sparkasse eintauschen sollten, um eine illegale Zweitwährung im Land zu verhindern. Was aber so wenig durchzusetzen gelang wie Gorbatschows Alkoholverbot in der Sowjetunion. Auch im Ausland tätige DDR-Bürger erhielten Forum-Schecks.
Wie die Wandlitz-Bewohner bestellten natürlich auch DDR-Bürger, die Verwandte oder Freunde im Westen hatten, bei denen aus mitgebrachten Neckermann-oder Quelle-Katalogen diese oder jene Sache, die dann beim nächsten Besuch mitgebracht wurde. Nicht selten handelte es sich dabei um
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