Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
Arthroskopien, doch die Gelenkspiegelungen sind nicht durchführbar, wie ihm der diensthabende Oberarzt 6.45 Uhr eröffnet: Eine Hilfsschwester habe in der Nacht beim Sterilisieren das Sieb mit den Optiken fallen lassen, sie seien nicht mehr zu gebrauchen. Er solle doch bei Schalck anfragen, ob er nicht kurzfristig Ersatz beschaffen könne.
Wuschech ist sauer. Seit Jahren schon bezieht er medizinische Geräte über Schalck, irgendwann müsse mal Schluss sein. Dennoch greift er zum Hörer und ruft Joachim Farken an, Generaldirektor der Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA), einer von Schalcks Firmen unterm Dach von KoKo. Seit Jahren besorgt er auch für Berliner Krankenhäuser, Charité inklusive, medizinische Geräte und andere dringend benötigte Materialien. Ja, er bringe vier Optiken vorbei, aber Wuschech solle das mit dem Chef klären, er habe keine Lust, dafür einen Verweis zu riskieren. »Big Alex« sei am Nachmittag in seinem Büro.
Doch noch ehe Wuschech in einer Operationspause in der Wallstraße anrufen kann, ereilt ihn ein Hilferuf von dort. Er solle umgehend kommen.
Auf dem Hof der »Schlüsselburg« trifft er Schalcks langjährigen Fahrer. »Bring den Alten auf die Beine!«, sagt Günter Kummer. »Wir müssen heute noch nach Bonn.« Das fünfgeschossige Bürohaus, ein Plattenbau, trägt deshalb diesen Spitznamen, weil viele Türen aus Sicherheitsgründen verschlossen sind.
Im Büro erwarten ihn Schalcks Frau Sigrid und sein Stellvertreter Manfred Seidel. Alex gehe es nicht gut, sagt sie, er habe Kreislaufprobleme und Kopfschmerzen.
Überall stehen in dem sonst penibel aufgeräumten Büro Kisten und Koffer, Aktenstapel, zum Paket verschnürt, und andere Kisten.
»Zieht ihr um?«, erkundigt sich Wuschech, und bekommt von Seidel eine Abfuhr. »Unsinn. Kümmere dich um Alex.«
Der liegt breit im Sessel und hat einen Eisbeutel auf dem Kopf. Wuschech misst den Blutdruck, der erstaunlich niedrig ist, dann setzt er ihm eine Spritze gegen die Schmerzen und gibt Tropfen zur Beruhigung. Die wirken umgehend, Schlack schläft ein. Auf Zehenspitzen schleicht man aus dem Zimmer. Wuschech folgt Seidel in dessen Büro.
»Nimm deine Instrumente mit«, sagt er, »vielleicht versiegeln sie auch mein Büro.« Er meint die Einweg-Skalpelle, Scheren und Messer, die Wuschech bei ihm zum Schleifen abgab. Seidel hatte einen Freund im Erzgebirge, der die Gerätschaften schärfte, welche man im Westen nach einmaliger Benutzung wegwarf. Seidel packte die Rechnung über 152,20 Mark auf die Kiste. Die soll Heinz Wuschechs Wirtschaftsleiter wie gewohnt bezahlen. »Sonst kriegst du den gleichen Ärger wie wir. Du weißt ja, wie sie inzwischen über uns herziehen, selbst die eigenen Genossen …«
Am nächsten Tag hat Wuschech Termin in der Manetstraße. Ergometertest bei Alex. Sigrid sagt ab, Alex habe augenblicklich andere Sorgen als sein Übergewicht. Zwei Tage später sind beide weg. Wuschech hört in den Nachrichten, dass sie sich mit unbekanntem Ziel abgesetzt hätten. Und Egon Krenz tritt von allen Funktionen zurück, mit ihm demissioniert das ganze Zentralkomitee.
Vier Monate später meldet sich der mit internationalem Haftbefehl Gesuchte aus Bayern. Wuschech wirft sich in seinen alten Volvo und fährt an den Tegernsee. Schalck-Golodkowski ist seelisch und gesundheitlich angeschlagen. Der Medizinmann aus der Heimat soll ihn aufrichten. Doch den haut es auch um, als sein Patient Details über seine Flucht berichtet. »Weißt du, dass mein ganzes Haus verwanzt war? Selbst im Keller war Abhörtechnik installiert.«
»Ja, und?«, gibt sich Wuschech cool. »Du hast ja schützend deine Hände über mich gebreitet.« Woher er das überhaupt wisse?
Von den Anwälten, sagt Schalck.
»Und die waren jetzt in deinem Haus und haben das festgestellt, was du vorher nicht bemerkt hast?« Wuschech zweifelt. Er hält inzwischen alles für möglich, kein Rauch ohne Feuer, auch wenn die meisten »Enthüllungen«, das sagt ihm sein gesunder Menschenverstand, überzeichnet sind. Viele Journalisten im Osten haben das Augenmaß verloren, manche sind wie von der Kette gelassen und wollen beim Kläffen noch die Krawallkollegen im Westen übertreffen.
Schalck, das weiß er, ist von Natur aus hochgradig empfindsam und dünnhäutig, aber die letzten Monate haben merklich Spuren in seinem Nervenkostüm hinterlassen. Wuschech ist sich darum nicht im Klaren, ob es sich wirklich so verhält oder ob er meint, dass es so gewesen könnte. Auf diese
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