Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
tätigen.
Weshalb Honecker auf Vorschlag von Mielke sich diesen »Generalsekretärsfonds« zulegte, kann nur gemutmaßt werden. Die freundliche Interpretation: Honecker wollte dieses Geld, dem bei aller Berechtigung ein gewisser Hautgout anhaftete – in Schwaben sagt man Geschmäckle –, nicht in den allgemeinen Staatshaushalt einfließen lassen. Wenn man im Westen davon Wind bekäme, würde man dort vielleicht erklären: Mit dem Geld der Kirche finanziert die DDR ihre Minenfelder. Das Geschrei konnte man sich leicht ausmalen.
Die weniger freundliche Erklärung: Der Generalsekretär wollte sich Zuneigung und Gefolgschaft erkaufen. Diese Annahme wird durch die Liste der Ausgaben durchaus bestätigt: 48,1 Millionen D-Mark für den Import von Obst und Gemüse (13. Oktober 1976); 42,9 Millionen für 800.000 Paar Schuhe (2. November 1976); 30 Millionen für österreichische Textilien und Untertrikotagen (1978); 40 Millionen für das Gesundheitswesen – von importierten Hüftgelenken bis Materialien für die Aids-Forschung (20. Februar 1979), 140 Millionen für Mazdas aus Japan (26. Juni 1981), 39,5 Millionen für Getreide, das als Solidaritätsgut an Nicaragua geliefert wird (24. September 1981); an Nicaragua gehen auch Mais für 6,2 Millionen (4. November 1986) und Getreide für 3,2 Millionen (7. Dezember 1988) sowie zehn Millionen Dollar in bar (28. Dezember 1987).
Ja, die 160 Pkw Citroen für den Partei-und Staatsapparat, die im Herbst 1989 importiert werden, bezahlt der Generalsekretär auch von diesem Konto. Und Honeckers allerletzte Verfügungsentscheidung, getroffen kurz vor seinem Rücktritt, beläuft sich auf 35 Millionen: Importe zur Weihnachtsversorgung der DDR-Bevölkerung. Doch während diese ihre Apfelsinen schälen, wird gegen Honecker ermittelt, weil der »seine Verfügungsbefugnisse als Generalsekretär des ZK der SED zum Vermögensvorteil für sich und andere missbraucht« habe, begründet die Staatsanwaltschaft diesen Schritt.
Vom Konto 0628 flossen laut Deutscher Handelsbank bis Oktober 1989 insgesamt 1.094.700 DM ab. Der größte Posten war die Bezahlung des Imports von 10.000 Mazda 323, die in den 80er Jahren viele Menschen in der DDR sehr glücklich machten. Wohl wahr, da hatte der Generalsekretär mit Hilfe Schalcks seine Verfügungsbefugnisse zum Vermögensvorteil für sich und andere sichtbar »missbraucht«.
Zur Wahrheit gehört ferner: Bis auf 100 Millionen D-Mark, die kurzfristig verfügbar waren, hatten Schalck und Seidel das Gros auf Festgeldkonten im Ausland deponiert. Allein mit diesen rund zwei Milliarden garantierten sie dortigen Kreditgebern die Zahlungsfähigkeit der DDR.
Erstaunlicherweise findet sich darüber nichts im
Spiegel
vom 20. November 1989. Der Beitrag »Fanatiker der Verschwiegenheit. Die einträglichen Geschäfte des DDR-Staatssekretärs Alexander Schalck-Golodkowski« bildet den Auftakt des Kesseltreibens. (»›Es gibt‹, sagt ein Insider, ›kaum Leute im gehobenen Management der Bundesrepublik, die so eiskalt, berechnend, glashart sind wie der Schalck.‹«) Der
Spiegel
nennt die anonymen Denunzianten »ostdeutsche Insider«, die die Fährten in all jene Richtungen legen, die man später intensiv verfolgen wird. Bis eben auf jenes Sonderkonto, von dem die
Spiegel
-Quellen so wenig wissen wie von anderen Dingen. Im Beitrag wird auf einen Umstand besonders hingewiesen, der später die Basis für die beiden Verurteilungen Schalcks liefern sollte. Im September 1944 hatte der Oberbefehlshaber der westlichen Alliierten »ein Gesetz erlassen, das nach der Besetzung Reichsdeutschlands die Devisenbewirtschaftung regelte und alle Außenhandels-und Devisengeschäfte verbot«. 1948 wurde die Bestimmung dieses Militärregierungsgesetzes 53 »auf den Verkehr mit dem sowjetischen Besatzungsgebiet ausgedehnt«. Damit ist es der DDR bis zu ihrem Ende untersagt, in diesem Sinne in Westberlin und der Bundesrepublik aktiv zu werden. »Um fürs Überleben notwendige technische Güter oder hochwertige Rohstoffe organisieren zu können, wurde Ost-Berlin schon früh erfinderisch«, heißt es dazu im
Spiegel
47/1989 lakonisch.
Der »Schürer-Bericht«
Am 18. Oktober 1989 übernimmt Egon Krenz die Geschäfte als Generalsekretär, sechs Tage später wählt ihn die Volkskammer zum Staatsratsvorsitzenden. Um sich einen Überblick über die wirtschaftliche Verfassung des Landes zu verschaffen, gibt er eine Studie in Auftrag. Der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, Gerhard
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