Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
Berlin-Schönefeld beschlossen waren, ging es um die protokollarischen Petitessen. Günter Mittag ordnete an, dass alle Mitglieder der DDR-Delegation – zu denen erstmals auch der Staatssekretär Schalck-Golodkowski gehörte – auf der Rollbahn mit russischer Tschapka oder barhäuptig erscheinen sollten. Denn im Unterschied zum Hut musste man eine Pelzmütze nicht lüpfen, wenn man bei der Begrüßung dem Staatsgast die Hand reichte.
Schmidt trug seine Prinz-Heinrich-Mütze, womit er das Problem für sich geschickt gelöst hatte. Auch die nahm man nicht vom Kopf.
Schalck-Golodkowski ignorierte die Order. Später, nachdem er höflich seinen Hut vom Kopf genommen und seinen Diener vor dem BRD-Regierungschef gemacht hatte, knurrte ihn Mittag an: »Ich hatte doch gesagt, dass Mützen zu tragen sind.«
Schmidt, dies als Postskriptum, erklärte in der Hamburger
Zeit
vom 12. Dezember 2008, warum er 1981 »gern nach Schloss Hubertusstock gefahren« sei. Er nahm dies zum Anlass zu erwähnen, dass er »wohl 24 Stunden« mit Honecker gesprochen habe. Nun, Hubertusstock war so wenig ein Schloss wie er – anders als Honecker – völlig frei in seinen Entscheidungen war, was er jedoch meinte herausstellen zu müssen. Die gestörte Erinnerung sollte man Schmidt nicht vorhalten, vielleicht lag’s ja auch am vorgerückten Alter. Aber was er sonst 2008 zu jenem Treffen vor fast dreißig Jahren schrieb, ist des Merkens wert: »In Schloss Hubertusstock haben wir uns korrekt und zugleich offen und kollegial verhalten. In allen unseren Begegnungen habe ich mich Honecker gegenüber – im Interesse aller Deutschen auf beiden Seiten – um ein gutes persönliches Verhältnis bemüht. Ich habe ihm innerlich seine langen Zuchthausjahre unter den Nazis und die Standhaftigkeit zugutegehalten, mit der er an den kommunistischen Idealen seiner Jugend festgehalten hat.«
Hat dies Schmidts Haltung, hat dies die Haltung der Bundesregierung und damit die Politik der Bundesrepublik gegenüber der DDR nachhaltig geprägt, dass damit Schalck-Golodkowski, KoKo und andere Einrichtungen überflüssig wurden?
»Er war zwar ein freundlicher Gastgeber, für mich ist er jedoch ein Gegner geblieben, bis zu seinem Tode im Exil auch ein Gegner der deutschen Vereinigung.«
Zu den wenigen, die Günter Mittags Fähigkeiten uneingeschränkt bewunderten, gehörte Schalck. Er empfand großen Respekt vor dessen eiserner Energie, mit der er auch mehrere Amputationen überstand. Die Operationen erfolgten im Regierungskrankenhaus in Buch.
Nach dem ersten Eingriff wollte er niemanden sehen, auch nicht Familienangehörige, er schottete sich völlig ab. Sigrid Schalck-Golodkowski, die Mittag seit langem kannte und der ihr vertraute, sowie Schalck und Mielke durften ihn dennoch am Tag nach dem ersten Eingriff besuchen. Mittag lag im Bett und las Westzeitungen. Über die OP wurde nicht gesprochen, auch später nie. Die Amputationen waren als Thema tabu.
Sigrid Schalck schaute sich nach Hilfsmitteln um und landete schließlich bei einem Spezialisten in Lüneburg. Das Problem war: Der Patient konnte nicht in Erscheinung treten, es durfte nicht einmal der Name fallen. Das Anpassen erfolgte mit Hilfe eines Orthopäden in Berlin, was nicht ganz einfach war, weil alles konspirativ abgewickelt wurde. »Mittag selbst fand sich aber schnell mit der Situation ab«, berichtete Schalck später. »Bevor er erstmals mit der Prothese in die Öffentlichkeit ging, übte er vor einem Spiegel im Krankenhaus das Gehen. Um dabei aber nicht gesehen zu werden, wurde der Flur abgeschlossen.«
Hat sich die Konspiration mit den Prothesen gelohnt?
Als jemand aus Schalcks Umgebung in Lüneburg zu tun hatte, schob ihm der Gesprächspartner eine Ausgabe der
Wirtschaftswoche
mit einem Mittag-Interview über den Tisch und tippte stumm auf das Foto.
Man wusste also Bescheid.
Schalck und Bölling
Der Potsdamer Klaus Bölling, Jahrgang 1928, gehörte mit zur Gründergeneration der Freien Deutschen Jugend. Er war im Spätsommer 1945 in die KPD eingetreten, arbeitete beim vom FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker herausgegebenen FDJ-Magazin
Neues Leben
und setzte sich Jahre später nach Westberlin ab. Helmut Schmidt berief ihn 1974 zum Regierungssprecher und 1981 zum Ständigen Vertreter Bonns in Berlin. Er trat – für fünfzehn Monate, was damals nicht absehbar war – die Nachfolge von Günter Gaus an.
Den Wechsel quittierte Schalck mit Bedauern. Es war nicht nur die Dauer der Verbindung zu Gaus
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