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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Wir hatten alle im Palast zu willenlosen Figuren gemacht, und das mit einer Sicherheit, als hätten wir unsere sechs Hände ausgebreitet und einen Geschichtenspielernebel zwischen Fluß und Geweihtem Garten hervorgerufen. Seelenjäger. Wenn hinter der alten Religion, die ich einmal verhöhnt hatte, ein wahrer Kern steckte, lag er vielleicht auch hinter der aktuelleren Auffassung, daß irgendeine Macht die Psyche der Menschen beschützte?
    Ich glaubte es immer noch nicht.
    Aber was immer der Grund war, ich konnte nichts aus dem pinkfarbenen Nebel erschaffen. Meine einzige Begabung, die für sich alleine recht bescheiden gewesen war, hatte ich eingebüßt. Ich war keine Geschichtenspielerin mehr.
    Der betrunkene Gesang kam näher an die Feuerstelle hinter meiner Zeltklappe. Ein Ruf, das hohe Lachen einer Frau. Ich schlug die Klappe herunter, verschnürte sie und zog im Dunkeln meine Decke über mich. Wider alle Vernunft – denn wie sollte ich ohne das Geschichtenspiel meinen und Jorrys Lebensunterhalt verdienen? – fühlte ich eine große Last von mir genommen. In der Nacht kamen die toten Gestalten wieder, die blutigen Soldaten und die weit stärker besudelte Königin, und ich betrachtete sie ruhig, ohne dem Anblick zu entfliehen, bis sie wortlos verschwanden.
     
    *
     
    An den Toren von Frost trennte ich mich von Nishels Karawane, zu der ich kaum gehört hatte. Der Ring, den Rofdal mir einst geschenkt hatte, er brachte bei einem Goldschmied ausreichend Münze, daß ich Velianos Reichtum verstand und ein Pferd, Kleidung und einen Platz im Gefolge eines wohlhabenden Gasthausbesitzers kaufen konnte, der schnell nach Norden zog. Seine gut bewaffnete Wache würde mir den gleichen Schutz wie eine Handelskarawane bieten und dabei dreimal so schnell sein. Nach sechs Tagen hatten wir Albastrina mit seinen silbernen Türmen am Meer erreicht; zwei weitere Tage, und wir gelangten nach Erdulin; am nächsten Tag stand ich vor Brants Schwester Malda.
    Bei dem verschwommenen Bild, das von mir aus Brants Erinnerung zwischen meine ausgebreiteten Handflächen geholt worden war, hatte seine Schwester wie er ausgesehen: groß, dunkelhaarig und mit ernstem Gesicht. Als ich ihr nun in dem prachtvollen Garten des Herrenhauses, das zu sehen ich mich vor zehn Jahren geweigert hatte, gegenüberstand, erinnerte sie mich nicht an Brant, sondern an eine dunkelhaarige Aralet. Ihr Gesicht unter dem seidenen Kopfputz wirkte freundlich und gedankenlos.
    »Ein Bote kam, mir zu melden, daß ich dich zu erwarten hätte, Geschichtenspielerin.«
    Ich fragte schneidend: »Ein Bote?«
    Sie runzelte ein wenig die Stirn – ich hätte sie bei unserem Standesunterschied nicht so ansprechen dürfen –, aber das Stirnrunzeln war leicht und bald verschwunden. Welcher Starrsinn den Jungen Brant zur wilden Rebellion und damit in die Flucht zu Mutter Arcoa getrieben hatte, diese sanftmütige Schwester war gewiß nicht der Grund gewesen. Nichtsdestoweniger hatte ich um eine Unterredung im Garten gebeten anstatt im Hause selbst. Sie hätte mich wahrscheinlich in der Graleria empfangen, jenem merkwürdigen neutralen Ort, wo eine Dame Privatgespräche mit ihren Dienerinnen führen konnte. Ich wollte nicht in Brants Graleria vor seine Schwester treten.
    »Ja, ein Bote«, bestätigte Malda. »Von meinem Bruder. Er wartet auf die Gelegenheit, mit dir zu sprechen… nun, dort.«
    Bei ihren Worten tauchte ein Mann hinter einem Zierstrauch auf und kam geradewegs auf uns zu. Wieder Maldas leichtes Stirnrunzeln; sicherlich sollte ein Stallknecht – und so sah er aus – nicht durch die Lustgärten streifen. Aber ich erkannte auf den ersten Blick, warum er das tat, und ich erkannte ihn auch wieder. Er war in Veliano einer von Brants Stallknechten gewesen, den man bis zu meiner Ankunft hier hatte warten lassen, und ich würde ihn niemals abschütteln können, sofern Brant nicht anderslautenden Befehl erteilte. Er war meine Fußfessel, meine und Jorrys, und so sah er aus: ernst, wachsam, stark. Ich lächelte ihm zu und sagte: »Du kommst von Lord Brant?«
    »Ja, Geschichtenspielerin. Um Mylady seine besten Wünsche zu übermitteln und seine Angelegenheit mit dir zu regeln.«
    »Ich wußte nicht, daß mein Bruder Angelegenheiten mit Geschichtenspielerinnen zu regeln hat«, bemerkte Malda etwas bissig, »aber ich bin nicht Lady Malda. Mylord Brant hat diesen Titel durch Heirat erworben.«
    »Ja, gnädige Frau«, antwortete der Mann. Sein Blick verriet mir, daß Frau Malda nicht

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