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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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ich spräche vom König. Sie sagte ganz langsam: »Sein Neffe ist der Erbe. Lord Landril von irgendwo anders her. Aber nur, bis der Prinz geboren ist.«
    Landril: ein entfernter Erbe, vielleicht noch jünger, nicht aus der direkten Linie. Damit erklärte sich der kränkende Inhalt meiner Geschichte, nicht jedoch, warum Brant sie so gestaltet hatte. Es erklärte sich damit auch der warnende Blick, den König Rofdal der schwangeren Leonore zugeworfen hatte: seine dritte Frau und noch immer kein Erbe. Gebäre einen Sohn, oder du hast mich getäuscht. Mich überkam eine Woge des Mitleids für die junge Königin, und ich fragte mich, ob sie eine schwere Schwangerschaft hatte. So viele kleine Jungen gab es auf der Welt, so viele zukünftige Stallknechte, Küfer und Landarbeiter, so viele kleine Jungen.
    »Haben«, erkundigte ich mich vorsichtig, »Lord Brant und Lady Cynda Kinder?«
    »Nein. Und, Cul, das ist ziemlich merkwürdig bei Lady Cyndas breitem Becken. Sie ist ganz anders gebaut als die arme Königin, die Vier Schutzgötter mögen ihr in ihrer schweren Stunde beistehen.«
    Ludies letzte Worte klangen gespreizt, als wiederholte sie etwas, was sie von älteren Frauen gehört hatte. Wahrscheinlich verhielt es sich auch so. Ich schaute sie an und dachte, daß sie ungefähr so alt sein mußte, wie ich gewesen war, als Brant bei Mutter Arcoa aufgetaucht war, ein davongelaufener junger Lord, der von seiner erzürnten Familie in allen Silberstädten gesucht wurde, und ich ein Waisenkind, das man wegen seiner unbedeutenden menschlichen Besonderheit zu Mutter Arcoa geschickt hatte, die dem Bruder meiner Mutter den Vorwand lieferte, sich einer ungeliebten Bürde zu entledigen. Ich hoffte, daß Ludie sich besser vorsehen würde, als ich das getan hatte, aber ich hegte meine Zweifel.
    »Ludie… wie viele Seelenjäger wurden denn entdeckt und geschunden?«
    »Fünf inzwischen. Die Zofe der zweiten Königin…« Mir fiel auf, daß Ludie ihren Namen nicht benutzte, und ich nahm an, daß sie dem Namen eine magische Kraft beimaß, »… vor einem Jahr, ein Mädchen vor der Zofe und ein Mann danach. Und dann die beiden gestern nachmittag.«
    Gestern nachmittag: Kein Wunder, daß die Hofgesellschaft gestern abend so leicht erregbar war. Der Mann und die Frau waren zur gleichen Zeit gehäutet worden, als Jorry und ich von der Hauptstadt Velianos, Velin, zum Palast geritten waren. Ich fühlte, wie sich mir die Kehle zuschnürte.
    »Sie haben die Leichen heute früh fortgeschafft«, sagte Ludie, und wieder stand Sorge in ihrem reizlosen Gesicht. »Es war als Warnung gedacht. Damit die Harfner den Leuten rieten, sich vom Palast fernzuhalten.« Trotz ihres bekümmerten Tones lag etwas Verächtliches in ihrer Stimme gegenüber den ländlichen Velianos, die fernab vom Palast lebten. »Harfner haben zugesehen.«
    »Bei der Häutung zugesehen?« Die Dienerin gestern abend hatte mich Harfnerin genannt; wäre ich einen Tag früher gekommen, hätte ich vielleicht ebenfalls zuschauen müssen. Übelkeit stieg in mir hoch, die durch den Geruch der Hühner nur noch verstärkt wurde.
    »Ja, Harfner wohnten der Häutung bei. Und der Erstechung ebenfalls.«
    »Der Erstechung?«
    »Ja.« Ludie schaute mich an. »Du hast doch wohl nicht gedacht, daß ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wurde, oder? Das wäre ja wie bei den Seelenjägern! Die Vier Schutzgötter haben die Sünde ausgemerzt; sie würden sie doch nicht nachäffen!« Eine Minute lang grübelte sie mit großen Augen. »Cul, du hast gedacht, man hätte sie bei lebendigem Leibe gehäutet! Sind sie in den Städten im Norden denn so grausam?«
    »Nein. Nein, natürlich nicht.«
    »Aber du hast es geglaubt«, wiederholte Ludie. »Ich konnte es deinem Gesicht ansehen. Cul, natürlich hat man sie erst um ihr klägliches Leben gebracht. Ich stand im Stallhof, als die Soldaten ausmarschierten und hörte, wie Lord Brant selbst den Befehl erteilte.«
    Brant.
    »Er sprach«, fuhr Ludie fort, »unter den Augen der Harfner und auf Befehl der Priester des Königs. Dann wies er die Soldaten an, sie so schnell und sauber wie möglich zu töten.«
    Alle Hühner waren inzwischen gerupft. Ich half Ludie, sie in einen Korb zu laden und stand mit zitternden Beinen auf, um über den Hof zu Jorry zu gehen. Als er sein Pony striegelte, leuchtete die Sonne in seinem braunen Haar und lag perlfarben auf der Wölbung seiner Wange, die einen Schmutzstreifen trug, wo er mit der Hand darüber gewischt hatte. Das

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