Schalmeienklänge
bin keine Harfnerin. Ich bin eine Geschichtenspielerin, die Geschichtenspielerin Fia.« Ich wartete darauf, daß sie sich nach dem Unterschied zwischen einer Harfnerin und einer Geschichtenspielerin erkundigte, aber sie fragte nicht. »Du kannst Fia zu mir sagen, Ludie, so wie ich dich Ludie nenne. Willst du mir denn nicht von den ersten beiden Königinnen erzählen, Ludie? Ich würde es zu gerne hören.«
»Zuerst kam die gute Königin Nitria. Sie war Königin seit der Jugendzeit des Königs, und sie starb erst vor drei Jahren.«
»Hatte sie Kinder?«
»Vier Fehlgeburten«, meinte Ludie lakonisch. »Und bei der letzten ist sie gestorben.«
»Und dann…«
»Königin Janore.« Ludies Gesicht nahm einen anderen Ausdruck an; sie begann, schneller zu rupfen. »Ich war bei der Häutung dabei.«
Kälte kroch in meinen Magen. »Der Königin wurde die Haut abgezogen?«
Ludie starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Cul! Der Königin! Nein, ihrer Zofe, die sie vergiftet hat! Und wenn ich daran denke, daß ich mich oft in ihrer Nähe aufhielt, wenn sie kam, um sich aus dem Küchengarten Kräuter zu besorgen!« Einen Augenblick lang rupfte sie wie rasend und fügte dann mit leiser Stimme hinzu: »Nicht, daß die Zofe es nicht verdient hätte. Wir mögen hier keine Seelenjäger.«
Die Kälte in meinem Magen kroch weiter. Seelenjäger – niemand war jemals in den letzten 200 Jahren zum Tode verurteilt worden für diese alte Zauberei, diesen alten Glauben. In den Städten war ein »Seelenjäger« zum Gegenstand allgemeiner Erheiterung geworden. Stückeschreiber fügten einen Seelenjäger in ihr Stück ein, wenn sie ihr Publikum dazu bringen wollten, schallend zu lachen; man erzählte Kindern Geschichten von Seelenjägern, um in ihnen ein harmloses, zartes Schaudern zu erwecken. Ich hatte gehört, daß die Frauen reicher Kaufleute den Begriff als werbendes Kompliment auffassen, das ihrer Fähigkeit gilt, mit ihrem Charme die Aufmerksamkeit eines Mannes zu fesseln. Seelenjägerei war ein Scherz, ein dummer Aberglaube, eine Übersteigerung von gewöhnlichen Leistungen unseres Denkens zu unmöglichen, um unsere naiven Vorfahren in Furcht und Schrecken zu versetzen. Seelenjägerei war Stoff für abgedroschene Geschichten.
Nicht so in den Augen dieses Mädchens.
Während der Arbeit erzählte mir Ludie von Janore, der letzten Königin. Eine Cousine der jetzigen – nicht daß ein Sterbenswörtchen gegen die Königin Leonore zu sagen wäre, die Vier Schutzgötter mögen über sie wachen.
»Als ich einmal im Stallhof einen Teppich klopfte, im alten Stallhof, meine ich, war Königin Janore auch da, und der Staub von dem Teppich flog zu ihr hinüber. Sie ließ mich schlagen, dabei war ich noch ein Kind! Als der König es hörte, wurde er böse. Auf mich«, erklärte Ludie mit weit aufgerissenen Augen. »Er sei der Beschützer seines Volkes, sagt meine Mutter, wie die Vier Schutzgötter die seinen gegen die Seelenjäger. Es war ein roter Teppich, in den blaue Zibetkatzen eingewebt waren.«
»Und Seelenjägerei…«
»Cul, sprich nicht davon, Geschichtenspielerin!« kreischte sie, und ihr Schaudern war echt und nicht gespielt.
Ich saß da, rupfte die Hühner und fragte mich, ob dieses Mädchen wirklich nicht wußte, daß Geschichtenspielen die einzig rechtmäßige Kunst des alten Aberglaubens war, den sie Seelenjägerei nannte.
Nein, natürlich wußte sie das nicht. Nachdem ich mich zur Ruhe gezwungen hatte, wußte ich auch, warum. Selbst in den Silberstädten brachten die einfachen Leute Geschichtenspielen und Seelenjägerei nicht miteinander in Verbindung. Geschichtenspiel ist ein harmloses, gewöhnliches Trugbild, just ein wenig spannender als Schwertschlucker oder Gaukler, weil man es seltener sieht, und ein bißchen weniger interessant als Wanderbühnen, weil es keine Worte und Lieder hat. Die Seelenjägerei ist eine verstaubte, seit zwei Jahrhunderten tote Religion, deren zerfallene Heiligtümer ganz verschwunden sind.
Selbst für die Geschichtenspieler, die um die Zusammenhänge wissen, spielt sie keine Rolle. Warum auch? Nur Historiker interessieren sich für das Vergangene.
Die Historiker sagen: Die alte Religion und das Geschichtenspielen kamen zur gleichen Zeit auf. Geschichtenspielen ist eine Begabung, mit der wenige – sehr wenige! – Menschen geboren werden, die ihre eigenen Phantasien zu aus Licht geschaffenen Figuren sichtbar werden lassen können. Die alte Religion war mit Blutopfern und
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